Norbert Wackernell
Leidenschaft Geschichte
Sein Name steht für einige der wichtigsten Verkehrsprojekte Südtirols, er entwickelte die Frostschutzberegnung ebenso wie international erfolgreiche Patente. Weniger bekannt sind Norbert Wackernells geschichtliche Forschungen im Meraner Raum.
Mit zunehmendem Alter und der Reduzierung seiner Tätigkeit als Ingenieur widmete sich Norbert Wackernell (1927-2020) mit Nachdruck der Geschichte unseres Landes in der Vorzeit. Neu war dieses Interesse freilich nicht. Bereits zu Uni-Zeiten stießen Professoren bei ihm auf offene Ohren, wenn sie mit entsprechenden Themenvorschlägen an ihn herantraten. Einen ersten Höhepunkt seiner Auseinandersetzung mit der Geschichte seiner Heimatstadt stellte die 1953 am Mailänder Politecnico verfasste umfangreiche Arbeit „Die Entstehung der Stadt Meran“ dar. Auf über 50 Seiten spannte der Student einen großen inhaltlichen Bogen von der Vorgeschichte über die römische Zollstation, das mittelalterliche Castrum Maiense, bis zur Entstehung jüngerer Stadtteile wie der Laubenanlage oder der „Gartenstadt“ im Westen Merans. Obwohl Wackernell auch auf die politischen Entwicklungen Bezug nahm, galt sein besonderes Interesse schon damals der Baugeschichte, die er aufwendig dokumentierte. Zuvor hatte er sich im Fach Straßenbau bereits eingehend mit der Via Claudia Augusta und im Fach Urbanistik mit der Entstehung der Meraner Lauben beschäftigt. In den folgenden Jahrzehnten verblieb aufgrund beruflicher und privater Beanspruchung kaum Zeit für eine vertiefte oder zielgerichtete Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte, sein Interesse verkümmerte aber nie.
Die Via Claudia Augusta
Was die Intensität der Beschäftigung mit geschichtlichen Fragen anbelangt, stellte die neuerliche Auseinandersetzung Wackernells mit der Via Claudia Augusta in den 90er-Jahren sicher einen Paradigmenwechsel dar. In mehreren schriftlichen Abhandlungen, darunter eine Publikation für den „Schlern“, gelangte er, was die wichtigste Römerstraße Tirols anbelangt, in mehrfacher Hinsicht zu bemerkenswerten Schlussfolgerungen. So vertrat Wackernell die These, dass die Trasse nicht über Marling zur Algunder Römerbrücke und weiter auf der orographisch linken Talseite hinauf auf die Töll führte, sondern eben genau umgekehrt: Vom Rand des Küchlberges kommend, verlief seinen Thesen zufolge die Via Claudia Augusta nach der Brücke auf der rechten Seite Richtung Vinschgau, also in etwa auf der Trasse der heutigen Vinschgauer Straße.
Vom Castrum Maiense zum Schloss Ortenstein
Wackernell verbrachte seine Kindheit an der Santer Klause in der Passeirergasse, also einer Stätte, an der die Via Claudia Augusta unmittelbar vorbeiführte. Bereits vor der Römerzeit bestand im Raum der heutigen Stadt eine Siedlung, die die Römer Maies nannten und maßgeblich umgestalteten. Durch die Siedlung führte nicht nur die wichtigste Durchgangsstraße der Gegend, im Bereich des heutigen Pfarrplatzes entstand eine Zollstation mit einer ersten Wehranlage, die einen Wall aus Holzplanken aufwies. Mit einem größeren Heerlager, so Wackernell, kann man jedoch erst in der Spätantike rechnen. Maies gewann ab dem 4. Jahrhundert an strategischer Bedeutung, da nördlich der Alpen die Lage aufgrund der Krise Roms und der beginnenden Völkerwanderung zunehmend instabil wurde. Die von den Römern im 5. Jahrhundert ausgebaute und als „Castrum Maiense“ bezeichnete Festung galt zeitweise als wichtigstes römisches Verpflegungslager in Raetien. In diesem Zusammenhang kritisierte Wackernell jenen Forschungsansatz, der Zirl in Nordtirol zum Zentrum spätrömischer Verwaltung auf dem Gebiet des heutigen Tirol erhob. Cölestin Stampfer habe entsprechende Thesen vertreten und etliche Historiker hätten diese unkritisch übernommen. Eine Folge sei die Betonung des nordtirolischen Ortes über belastbare Fakten hinaus und eine Relativierung der Rolle von Maies in der Spätantike bzw. Völkerwanderungszeit. Die strategische Bedeutung von Maies blieb im Frühmittelalter erhalten, zumal die Gegend nun für mehrere Jahrhunderte Grenzland darstellte. Ausgehend von den Schriften Bischof Arbeos von Freising, der im 8. Jahrhundert unter anderem die Anwesenheit von etwa 1.500 bairischen und langobardischen Soldaten im „Castrum Maisense“ anführt, rechnete Wackernell hoch, der von einer Zollstation zu einer Grenzstation ausgebaute Waffenplatz müsse eine Größe von 3 bis 4 ha aufgewiesen haben. Er ging zudem bei einer für frühmittelalterliche Verhältnisse so beachtlichen Soldatenzahl von der Existenz umfangreicher Wehrbauten aus und dem Kern jener Anlage, die später als Schloss Ortenstein (mit dem „Pulverturm“) in die Annalen eingegangen ist.
Der „Pulverturm“
Einen weiteren Schwerpunkt von Wackernells Recherchen bildete der Hauptturm der mehrere Türme, Schutzmauern und Wehrgräben umfassenden mittelalterlichen Wehranlage über Meran, der sogenannte „Pulverturm“. Wackernell lebte ab 1934 lediglich 200 m davon entfernt am Tappeinerweg und damit gewissenmaßen im Schatten dieses Gebäudes, das aufgrund seiner Lage zwar weder Einheimische noch Touristen übersehen können, dessen Geschichte jedoch erstaunlich lückenhaft dokumentiert ist. Die zentrale Erkenntnis Wackernells: Der Turm weist ein doppeltes Mauerwerk auf: Im 5. Jahrhundert, als der Druck der germanischen Völker auf das Reich zunahm, nahmen die Römer einen Ausbau des Holzturms in massivem Mauerwerk (heutiger Innenturm) vor. Er diente primär als Waffenlager und Warenspeicher. In der Völkerwanderungszeit ummantelten die Bajuwaren den Turm mit einer zweiten Mauer. Im Hochmittelalter veränderten sich die geschichtlichen Rahmenbedingungen, die Gegend von Maies hörte auf, umkämpftes Grenzland zu sein. Damit verlor der Turm mit den angeschlossenen Wehrbauten seine ursprüngliche Bedeutung und bereits im 16. Jahrhundert wusste in Meran niemand mehr, wann er entstanden war und welchen Zweck er erfüllt hatte. Dem Umstand, dass in der Neuzeit Waffen und Schießpulver darin lagerten, verdankt er seinen landläufigen Namen (während die Forschung vom Ortensteinturm spricht). Dass es sich beim „Pulverturm“ um ein bis heute intaktes, im Kern römisches Bauwerk handelt, werde in Meran, so Wackernell, kaum registriert. Entsprechend vernachlässigt präsentiere sich das Areal, das es dringend aufzuwerten gelte.