Schnee – das ersehnte Weiß
Im Winter 2017 von Dr. Johannes Ortner
Wenn es denn einmal schneit, ist die ganze Welt wie in Watte gepackt. Alle Geräusche sind gedämpft. Schleicht dann doch ein Auto mit knirschenden Reifen vorbei, ist minutenlang das Abgas zu riechen, so kristallklar und rein ist die Luft! Die weiße Pracht lässt Kinderherzen höher schlagen, mit herausgestreckter Zunge werden die Schneeflocken direkt aus der Luft geschleckt und ein pappiger Schnee fordert geradewegs zu einer Schneeballschlacht heraus - am besten mit dem Tata mittendrin.
Doch was ist heuer los? Der bescheidene Schneefall vom Freitag, dem 13. Jänner, hat zwar eine niederschlagslose Serie von fast 50 Tagen beendet, aber der Natur noch keine nennenswerte Erholung geschenkt. Eine Bauernregel besagt nämlich: Will die Natur sich laben, soll sie ihr Leichentuch tragen! Unter einer Schneedecke sind Pflanzen nämlich vor scharfem Frostwind und strengen Kahlfrösten geschützt. Frisch gefallener Schnee besteht zu 95% aus eingeschlossener Luft und ist ein guter Wärmeisolator. Dass eine mächtige Schneedecke im Frühjahr für ausreichende und andauernde Befeuchtung in der Wachstumsphase von Gras und Busch sorgt, ist ein weiterer Vorzug der Niederschlagsform Schnee.
Warum schneit es nicht mehr so wie früher? Wo bleiben Genuatief (entlädt in den Südstaulagen Ulten, Burggrafenamt und Passeier seine weiße Fracht) oder Adriatief (Schnee in den Dolomiten bis Kärnten, Friaul)? Hat ihre Abwesenheit mit dem Klimawandel zu tun? Dass es verglichen mit den Temperaturen bis in die 1970er Jahre wärmer geworden ist ‒ in den Alpen bis zu 2 Grad ‒ ist messbare und unleugbare Realität. Die Rodelpartien unserer Kindheit im Burggräfler Hügelland sind wohl Schnee von gestern. Am Stephanstag gehen sich nach dem Familien-Weihnachts-Menü Fußball oder Volleyball im Freien aus. Sollte es der Nordföhn gestatten, gern auch eine Partie Federball.
Schnee ‒ das ist doch der schönste meteorologische Zustand, den man sich vorstellen kann! Die Kinder treibt’s ganz von alleine hinaus: Das Bauen des Schneemanns, inriibln, sich kreuzende Linien an den Hängen durch die kleinen Rodler. Nun ja, für Gehbehinderte und Senioren sind schneeglatte Wege eine Gefahr und wer mit dem Auto zur Arbeit muss, der braucht eben die paar Minuten länger, um die Schneeketten um die Autoreifen zu legen. Oder er lässt’s ganz bleiben ‒ das Schneeketten-Anlegen.
Was ist Schnee?
Schnee entsteht, wenn sich bei sehr tiefen Temperaturen (unter -12°C) in den Wolken unterkühlte Wassertröpfchen an so genannte Kondensationskeime (z. B. Staubteilchen) anheften. Die dabei entstehenden Eiskristalle, weniger als 0,1 mm groß, fallen durch zunehmende Masse nach unten und wachsen weiter an. Dabei bilden sich die bekannten sechseckigen Formen aus. Wegen der besonderen Struktur der Wassermoleküle sind dabei nur Winkel von exakt 60° bzw. 120° möglich.
Bei sehr tiefen Temperaturen bilden sich Plättchen, bei höheren die bekannten Sterne (Dendrite). Zwar gibt es wenige Grundformen an Kristallen, aber kein einziger Schneekristall gleicht exakt dem anderen! Ein Wunder der Natur ‒ bei den Milliarden Schneekristallen eines einzigen Schneefallereignisses.
Aufgrund der höheren Luftfeuchtigkeit nahe am Gefrierpunkt, werden auch die Schneekristalle größer und komplexer ‒ bei niederen Temperaturen bleiben sie kleiner. Daher finden die intensivsten Schneefälle bei rund 0°C statt. Zudem werden die Eiskristalle nahe 0°C durch kleine Wassertropfen miteinander verklebt und es entstehen die an einen Wattebausch erinnernden Schneeflocken. Diese haben eine große Oberfläche und somit einen hohen Luftwiderstand. Schneeflocken fallen mit Geschwindigkeiten von etwa 4 km/h verhältnismäßig langsam – zum Vergleich: mittelschwerer Regen fällt mit ca. 20 km/h!
Das Wort Schnee
Althochdeutsch snēo, Genitiv snēwes, mittelhochdeutsch snē, altsächsisch snēo, mittelniederländisch snee, niederländisch sneeuw, altenglisch snāw, englisch snow, altnordisch snœr, snjōr, schwedisch snö, gotisch snaiws (germanisch *snaigwa-), russisch sneg, litauisch sniẽgas, verwandt mit dem griechischen nípha sowie lateinisch nix (Genitiv: nivis; nivea „die Schneeweiße“, kymrisch nyf, italienisch neve, grödnerisch nëif, badiot nëi, französisch neige, spanisch nieve. Alle Formen sind Abstraktbildungen zum indogermanischen Verb *sneigṵh- „schneien, (sich) zusammenballen, zusammenkleben“.
Schneearten
Man sagt den Inuit nach, sie würden bis zu 50 verschiedene Termini für Schnee verwenden. In einem Roman des Dänen Peter Høeg beweist die Inuitfrau Smilla ihr Gespür für Schnee, das sie sogar einen Mord an einem kleinen grönländischen Jungen in Kopenhagen aufklären lässt!
Auch wenn die Anzahl der Ausdrücke für Schnee übertrieben sein mag, so fällt doch auf, dass in schneereichen bzw. kalten Gegenden sehr viele Schneearten namentlich unterschieden werden. Dies haben die Grönländer mit den Passeirern gemein, wie ein Blick in das Passeirer Wörterbuch beweist.
Nach Alter unterscheidet man Neuschnee, Bruchharsch (unter einer Eiskruste, dem Harschdeckel, befindet sich Pulverschnee), Harsch, Firn, Firneis und Gletschereis. Der Ausdruck Firn bedeutet „ferner Schnee, Altschnee“ und liegt dem Mundartwort „Ferner Gletscher“ zugrunde. Firn hat nur mehr wenig Luftanteil, eine höhere Dichte und ein granulatartiges körniges Aussehen.
Nach Feuchtigkeit unterscheidet man den trockenen Pulverschnee, den nasseren Pappschnee (eignet sich zum Bauen von Schneemännern und -frauen und fordert geradezu eine Schneeballschlacht heraus), Nassschnee, Sulz (nasser Firn) und Schneematsch. Eine Sonderform des Pulverschnees bildet der Champagner-Powder, ein Pulverschnee der bei sehr kalten Temperaturen in den Rocky Mountains zu finden ist, dem Skifahrerhimmel schlechthin.
Bei zunehmend höheren Temperaturen kann es Schneeregen geben, es schnaip untranånder: in den Regen eingebettet sind einzelne Schneeflocken.
Blutschnee ist rötlich gefärbter Schnee, der durch eine Massenentwicklung von Grünalgen, welche rote Carotinoide ansammeln, entsteht. Der Altschnee in alpinen Regionen ist öfter auch gelblich-rot gefärbt, was auf abgeregnete bzw. abgeschneite Staubmassen aus der Sahara zurückgeht. Nicht selten haben die Südströmungen ihren Ausgangspunkt in Nordafrika.