Zwischen Sommerfrische und Klimawandel
Freizeit und Tourismus sind Begriffe und Phänomene, die sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Europa herausgebildet haben. Hinter ihnen verbirgt sich eine gesellschaftliche Veränderung, die stärker als andere Raumwirksamkeit zeigt und die Alpine Kulturlandschaft markant prägte.
Waren es zu Beginn die küstennahen Seebäder oder die Wasser- und Luftkurorte, die zunächst noch weitgehend exklusiv vom Adel aufgesucht wurden, verbreiterte sich die gesellschaftliche Basis dieses Phänomens ab den 1850er-Jahren durch das „Hereindrängen“ einer neuen, zahlenmäßig wie ökonomisch bedeutenden Schicht: das Bürgertum. Auch der Zielraum sollte sich erweitern. Nunmehr standen – neben den traditionellen Küsten- und Badeorten – auch das Gebirge, die Alpen im Vordergrund der Sehnsucht nach Abwechslung und Erholung. Die sich zeitgleich verbessernde Infrastruktur, etwa durch den Eisenbahnbau, bedingte einen stetigen Zuwachs der Nachfrage nach neuen Destinationen und Angeboten im Alpenraum. Die Sommerfrische verzeichnete Jahr für Jahr eine merkliche Erweiterung, die allerdings mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht nur einen vorübergehenden Dämpfer erleiden musste, sondern in der Folge auch eine strukturelle Veränderung erfuhr. In die Sommerfrische drängte nunmehr vermehrt, wenngleich in einem bescheideneren Ausmaß, auch die Arbeiterschaft. Staatlich gelenkte und fallweise ideologisch verbrämte Versuche, die Freizeitgestaltung der Massen in kontrollierte Bahnen zu lenken, dominierten die 1930er- und 1940er-Jahre. Das gilt für den deutschen wie italienischen Raum ebenso wie für die anderen Länder Europas und umfasst damit auch ein breites politisches Spektrum. Nach 1945 begann mit dem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung für den Alpinen Tourismus eine neue Ära. Mehr Menschen suchten die Bergwelten auf und das Angebot wuchs geradezu unaufhaltsam an. Schließlich verschob sich seit den 1970er-Jahren die ökonomische Gewichtung vom Sommer- auf den Wintertourismus. Seit der Jahrtausendwende unterliegen die bisherigen Konzepte angesichts des Klimawandels allerdings einem allmählichen Umdenken, das sie mehr und mehr in Frage stellt.
Die Alpen und vergleichbare alpine Räume wie etwa die Karpaten blicken mittlerweile auf eine fast 200-jährige Tradition und Erfahrung im bzw. mit dem Tourismus zurück. Mit dem zunehmend auch ins breite gesellschaftliche Bewusstsein eindringenden Klimawandel, der alljährlichen Frage nach Schneesicherheit in den Skigebieten, aber auch mit den enormen Kosten für die Infrastruktur – was zu einem großen Teil den Wintertourismus betrifft – und der an ihre Grenzen stoßenden Belastung von Gesellschaft wie Kulturlandschaft in den Destinationen hat in den letzten Jahren dieses Umdenken bestimmt; ein Umdenken, das sowohl von den „Bereisten“ als auch von den Reisenden selbst ausgeht.