Fakten statt Mythen
Sozialhilfen in Südtirol
Im Frühling 2024 von Eva Pföstl
Immer wieder hört man, dass unser Sozialsystem Migranten besser behandle als Einheimische oder dass sich dank der Sozialhilfen das Arbeiten gar nicht mehr lohne. „Es sind viele Mythen im Umlauf, die es zu entkräften gilt“, sagt Florian Prinoth, „und es wäre wünschenswert, wenn sich die Leute mit Fakten beschäftigen würden, anstatt Irrtümer zu verbreiten.“ Florian Prinoth ist seit 2006 Direktor der Sozialdienste der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt und arbeitet insgesamt seit 32 Jahren im sozialen Bereich im öffentlichen Dienst. Dementsprechend gut kennt er unsere Sozialsysteme.
Vorreiter Südtirol
„Ein Landesgesetz zum Sozialen Mindesteinkommen gibt es in Südtirol bereits seit 1973 – es war eines der ersten Gesetze des neuen Autonomiestatutes und italienweit einzigartig. Somit war Südtirol Vorreiter im Bereich der Sozialhilfe“, erklärt Prinoth. Bis 1991 wurde die Verwaltungsbefugnis der Provinz im Bereich Sozialwesen zum Teil direkt vom Land und zum Teil von den – inzwischen aufgelösten – Gemeindefürsorgestellen wahrgenommen. Mit dem Landesgesetz Nr.13/1991 kam es dann zu einer nachhaltigen Veränderung der Zuständigkeiten im Sozialwesen, indem die Verwaltungsbefugnisse des Landes an die Gemeinden delegiert wurden und diese haben sie dann an die Bezirksgemeinschaften weiterdelegiert. Sie verwalten neben anderen Diensten die Beiträge zum sozialen Mindesteinkommen und für Miete und Wohnungsnebenkosten, um die es in diesem Beitrag geht; denn die meisten Mythen betreffen diese beiden Bereiche.
Rückläufige Gesamtbeträge
Etwa 5,8 Mio. € hat die Bezirksgemeinschaft im Jahre 2023 insgesamt an Beiträgen ausbezahlt, davon über 5 Mio. € an Miet-und Nebenkostenbeiträgen und 740.000 € für Beiträge zum Sozialen Mindesteinkommen. Im Jahre 2018 wurden noch 8 Mio. € ausbezahlt. Dass der Betrag stark rückläufig ist – immerhin ca. 3 Mio. € – ist eine gute Nachricht. „Das liegt an der Vollbeschäftigung in unserem Lande und weil die Sozialleistungen vom Land, die bei unserer Kalkulation ja mitberücksichtigt werden, erhöht wurden. So wurde z. B. das Landeskindergeld erhöht und damit haben weniger Personen Anrecht auf unsere Unterstützung.“
Beitragsempfänger
„Unsere Klienten“, wie Prinoth respektvoll die Beitragsempfänger nennt, „sind alleinstehende Personen und Familien, die über ein geringes Einkommen oder Vermögen verfügen und die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, alleine ihre Notlage zu überwinden. Es handelt sich dabei derzeit um ca. 40 % Arbeitnehmer, weiters Rentner, Alleinerziehende, Arbeitslose (deren Zahl sich jedoch aufgrund der Vollbeschäftigung reduziert hat) und Langzeitarbeitslose.“
Im Jahr 2023 haben in der Bezirksgemeinschaft Meran insgesamt 1.840 Empfänger Mietbeiträge und 233 Personen das Soziale Mindesteinkommen erhalten. „Insgesamt haben wir Klienten aus 56 verschiedenen Staaten“, erklärt Prinoth.
Kommt die einheimische Bevölkerung zu kurz?
Es ist ein Mythos, der anscheinend nicht totzukriegen ist – nämlich jener, dass die einheimische Bevölkerung sowohl beim Sozialen Mindesteinkommen als auch bei den Mietbeiträgen zu kurz kommt. Schaut man sich jedoch die Zahlen an, schaut die Situation folgendermaßen aus: Bei den Mietbeiträgen sind 64 % der Empfänger italienische Staatsbürger (und denen Gleichgestellte). Bei den Empfängern des Sozialen Mindesteinkommen handelt es sich sogar um 73 % italienische Staatsbürger.
„Gesteigert hat sich in den letzten Jahren das Gefälle zwischen der Stadt Meran und den ländlichen Gebieten – in Meran haben wir in den letzten Jahren wesentlich mehr Beitragsempfänger zu verzeichnen, als auf dem Land“, sagt Prinoth.
Voraussetzungen für den Erhalt des Sozialen Mindesteinkommens
Voraussetzung für die Gewährung der finanziellen Zuwendung ist eine genaue Bedürftigkeitsprüfung des Antragstellers und dessen Familie, bei der auch gemeinsam ein individuelles Programm zur Wiederherstellung der finanziellen Unabhängigkeit erstellt wird. Scheint auf der entsprechenden EEVE-Erklärung zum Beispiel das Eigentum oder auch nur der Fruchtgenuss einer Zweitwohnung seiner Verwandten auf, geht der Antragsteller leer aus. Nur wenn die Eigenmittel des Antragstellers und dessen Familie unter dem zuerkannten Bedarf liegen, gilt der Hilfesuchende als bedürftig und erhält die Leistungen.
„Grundsätzlich gehen wir nach dem Subsidiaritätsprinzip vor“, betont Florian Prinoth, „Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Wenn dies nicht klappt, sind die Familienangehörigen (Kinder und Eltern) zuständig, dann das persönliche Umfeld und private Träger wie Caritas oder Vinzenzverein und erst dann kommt die Bezirksgemeinschaft ins Spiel.“
Ständiger Aufenthalt seit mindestens 12 Monaten
Um mit einem weiteren Mythos aufzuräumen: Der Antragsteller muss in einer der Gemeinden des Einzugsgebiets des Sozialsprengels seit mindestens 12 Monaten seinen ständigen Aufenthalt haben – Migranten ohne regulären Wohnsitz können natürlich nicht ansuchen. „Wir sind ausschließlich für jene Bürger zuständig, die in ‚unseren‘ Sprengeln, d.h. Meran, Lana, Naturns und im Passeiertal ihren ständigen Aufenthalt ununterbrochen seit mindestens einem Jahr haben“, sagt Prinoth. Wer für mehr als sechs Wochen in die Heimat reist, verliert sein Anrecht auf das Soziale Mindesteinkommen. „Wir kontrollieren zu diesem Zweck regelmäßig auch die Pässe“, so Prinoth.
Auszahlung
Die Ausgleichszahlung für das Soziale Mindesteinkommen wird in der Regel höchstens für sechs Monate gewährt und wird monatlich ausbezahlt. Wenn sich nach dieser Zeit die wirtschaftliche Situation der Familie nicht verbessert hat, muss ein neuer Antrag gestellt werden. (Ausnahmen bestehen für Rentner, wo die Auszahlung für 12 Monate gewährt wird.)
Das Soziale Mindesteinkommen ist nicht mit dem „Assegno di inclusione“, der den „reddito di cittadinanza (Bürgereinkommen)“ ersetzt hat, kumulierbar. Antragstellende müssen sich – so wie bisher auch beim Bürgereinkommen – für die eine oder andere Leistung entscheiden. „Das Südtiroler Soziale Mindesteinkommen ist höher als der staatliche Beitrag und somit haben die meisten auf das Bürgereinkommen verzichtet. Es gab einzelne Missbrauchsfälle, wo für beide Beiträge angesucht wurde, aber wir haben ein gutes Kontrollkreuzsystem. Missbrauch fällt auf und hat zur Folge, dass der Antragsteller von beiden Systemen ausgeschlossen wird“, erklärt Prinoth.
Soziales Mindesteinkommen: Maximalbeträge
Ab dem Jahr 2024 kann eine alleinstehende Person monatlich 664,20 € als Maximalbetrag erhalten, eine Familie bis zu zwei Personen 869 €, drei oder vier Personen 1.100 €, fünf oder sechs Personen 1.300 €, ab sieben Personen 1.500 €.
Beitrag für Miete
Um Anrecht auf einen Mietbeitrag zu haben, muss der Mieter einen regulären und registrierten Mietvertrag für Wohnzwecke vorweisen. Auch der Beitrag für Miete ist an eine Mindestdauer der Ansässigkeit geknüpft: Der Antragsteller muss seit mindestens 12 Monaten ohne Unterbrechung ansässig sein. Auch um für diesen Beitrag ansuchen zu können, muss der Antragsteller italienischer Staatsbürger oder Bürger der EU oder Drittstaatsangehöriger mit einer langfristigen EU-Aufenthaltsberechtigung sein. Auch Personen mit Flüchtlingsstatus oder Personen mit dem Status subsidiären Schutzes müssen seit mindestens einem Jahr hier ansässig sein. Drittstaatsangehörige und Staatenlose müssen einen fünfjährigen, legalen und ununterbrochenen Wohnsitz in Südtirol nachweisen. Damit fällt ein weiterer Mythos: Es bedarf einiger Zeit, um in den Genuss der Beiträge zu kommen.
Es wird immer wieder behauptet, dass den Bedürftigen vom Sozialsprengel die gesamte Miete bezahlt wird. „Das stimmt nicht“, erklärt Prinoth „und hätte nebenbei zur Folge, dass die Mieten noch teurer werden, als sie bereits sind.“ Die Basis zur Berechnung des Mietbeitrages ist wieder die EEVE-Erklärung zum eigenen Einkommen und Eigentum. Weitere Faktoren zur Berechnung sind die Größe der Familie und die Größe der Gemeinde – wer z.B. in einer großen Gemeinde wie Meran wohnt, hat Anspruch auf einen höheren Beitrag, als jemand, der in einer kleinen Gemeinde wie z. B. Platt in Passeiertal wohnt.
„Der maximale Mietbeitrag, der ausbezahlt wird, ist in einer Landestabelle von 2012 festgelegt und wurde seit dieser Zeit auch nicht angepasst und hätte Reformbedarf“, sagt Florian Prinoth.