Professionelle Flugrettung
Im Frühling 2016 von Helmuth Tschigg
Ein Windstoß fegt über die Wiese hinter dem Gasthof Alpenrose in Vöran: Der Hubschrauber von Aiut Alpin ist im Landeanflug. Das Gras ist flach an den Boden gepresst und Blütenstaub wirbelt durch die Luft. Zwei Bergretter der Südtiroler Berg- und Höhlenrettung kauern am Boden. Sie haben sich mit ihren Lawinenhunden zum Einsteigen bereit gemacht. Der Heli landet, der Rotor dreht sich noch, die Retter steigen ein, die Hunde liegen ruhig am Boden der engen Kabine. Nach einer Minute ist schon wieder Abflug zum „Knottenkino“ oberhalb von Vöran.
Es sieht alles so einfach und problemlos aus, jede Bewegung und jeder Handgriff scheinen zu sitzen, jede Handlung wird mit geübter Sicherheit ausgeführt. Aber dahinter steckt eine fachgerechte Ausbildung und die Bergretter absolvieren zweimal jährlich eine Fortbildung.
Im April waren rund 30 Bergretter bei der Übung anwesend. Sie kamen aus verschiedenen Bergrettungssektionen, von jener aus Meran, aus dem Unterland, vom Ritten, aus dem Vinschgau, aus Eppan und aus dem Gröden- und Gadertal. Auch die Bergrettungsmannschaften des Alpenvereines (AVS) machen die jährlichen Schulungen und Prüfungen mit, damit sie an Rettungseinsätzen mit dem Hubschrauber teilnehmen können.
Unter den Bergrettern jeder Sektion werden immer einige auf die Flugrettung vorbereitet und dafür ausgebildet. Thomas, einer von ihnen, berichtet: „Diese Übungen müssen wir immer im April, am Anfang der Sommersaison, absolvieren und dann noch einmal im Herbst, am Anfang der Wintersaison, zusammen mit dem Aiut Alpin und mit dem Pelikan-Hubschrauber des Landes“.
Die Übung ist eigentlich eine Prüfung, die zweimal jährlich stattfindet und alle Flugretter müssen diese absolvieren.
Dabei werden alle wichtigen Manöver, die zu einer Flugrettung gehören, simuliert. Das ist zum Beispiel die Bergung eines Verunglückten im Schwebeflug, wobei der Hubschrauber nicht landen kann. Oder es erfolgt eine Bergung mittels Seilwinde bzw. am Fixtau, das es nur beim Aiut Alpin gibt. Dabei muss der Pilot die Unfallstelle auf einen halben Meter genau anfliegen. Bei einer Übung besteht die Notsituation, dass ein Mann im Seil hängen geblieben ist, der gesichert werden muss. Danach wird sein Seil durchgeschnitten, da darf nicht das falsche durchtrennt werden!
Wann kommt der Hubschrauber zum Einsatz?
Für die Bergung von Verletzten in unzugänglichem Gelände wird immer ein Hubschrauber angefordert. Je nach Verletzungsart und -grad kommt ein aufklappbarer Bergesack zum Einsatz, in dem die Person sehr gerade liegt und befestigt wird. Wird der Sack an das Bergetau gehängt, verteilt sich sein Gewicht gleichmäßig auf 10 Seile und er kann in der Waagrechten angehoben werden. Die elektrische Seilwinde ist so über der Schiebetür an der Seite des Hubschraubers angebracht, dass das Unfallopfer liegend hineingeschoben werden kann.
Die Flugretter sind mit besonderen Funkgeräten ausgerüstet. Thomas erklärt: „Man muss die Möglichkeit haben, mit dem Piloten zu reden, wenn man unter dem Heli am Seil hängt, denn nach ein paar Metern tiefer sieht einen der Pilot nicht mehr in seinen Spiegeln. Also kann man nur noch dem Techniker, der in der Tür sitzt und die Seilwinde bedient, Handzeichen geben, die dieser dem Piloten weitersagt. Deshalb ist es natürlich viel besser, über Funk zu kommunizieren, das hören gleichzeitig Pilot und Techniker und alle, die an diesem Einsatz beteiligt sind, über ihre Kopfhörer.“ Zudem ist es in der Nähe des Hubschraubers sehr laut und stürmisch, eine verbale Verständigung ist also unmöglich.
Präzise Angaben in Metern und Richtungen helfen dem Piloten, die richtige Position mit dem herunterhängenden Anschlusshaken des Bergungstaues anzusteuern. Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Präzision der Hubschrauberpilot das drei Tonnen schwere Fluggerät lenkt. Ein Auto in die Parklücke zu stellen, scheint dagegen oft ein größeres Problem zu sein.
Was ist bei einem Rettungseinsatz wichtig?
Was ist nun bei diesen Rettungsübungen das Wichtigste? Thomas antwortet: „Die größte Herausforderung ist es, Ruhe zu bewahren, weil es doch für alle eine ungewohnte Situation ist, auch wenn viele von uns einige Hubschrauberrettungseinsätze im Jahr machen. Ebenso wichtig ist auch die Zusammenarbeit zwischen den Bergrettern, dem Flugrettungstechniker, der die Seilwinde bedient, und dem Piloten. Diese drei müssen harmonieren, das ist die Herausforderung.“
Inzwischen ist auch der Pelikan 1 eingetroffen. Er bringt ununterbrochen die Bergretter zum „Knottenkino“.
In den steilen Felswänden dort haben sich die Bergretter doppelt gesichert und dann abgeseilt und warten nun darauf, dass sie der Hubschrauber aus der Wand birgt. Zu zweit und zu dritt stehen sie beisammen, geben mit zwei zum „Y“ erhobenen Armen das Zeichen, dass sie abgeholt werden sollten. Dann geht es unheimlich schnell: der Anflug, das Einhängen der Karabiner und der Abflug dauern zusammen eine halbe Minute. Während der Heli zur nächsten „Unfallstelle“ fliegt, werden die zwei oder drei Geborgenen angehoben, müssen sich am Heli sichern, einsteigen und die Karabiner lösen. Und das Bergungstau wird schon wieder hinuntergelassen. Die Übung wird von allen 30 Bergrettern absolviert.
Wann kommt der Notarzt zum Einsatz?
Wie viele Personen sind im Ernstfall bei einer Rettung dabei? Thomas berichtet: „Drei plus eins, das sind der Pilot, der Techniker, der Bergretter und der vierte ist der Arzt. Dieser aber nur, wenn es das Gelände zulässt. Ist es zu steil oder steinschlaggefährdet, versucht man den Verletzten möglichst schnell zu bergen und an einem sichereren Ort vom Arzt behandeln zu lassen. Ist die Verletzung aber schwerwiegend, muss der Arzt an die Unfallstelle gebracht werden, damit er erste Maßnahmen ergreifen kann.“
Bei diesen ersten Übungen war heuer kein Notarzt anwesend. Dafür gibt es eigene Kurse. Es ging hauptsächlich darum, die Bergungstechnik mit dem Hubschrauber zu üben und den neuen Bergesack auszuprobieren.