Wertvolles Alleinsein!
Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Untermais
Im Meraner Stadtviertel Untermais, Nähe Kofler Platz, genauer gesagt im Palazzo Splendor, befindet sich die Wohnung Thoreau der Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte. Im Gespräch mit der Schweizer Schriftstellerin, Didaktikerin und Koordinatorin des Stipendiums für Literaturschaffende, Michèle Minelli, erfahren wir die Hintergründe zu diesem Kulturprojekt.
MS: Michèle, wer vergibt das Stipendium?
Michèle Minelli: Die SGEMKO, die Schweizerische Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention. Dieser 1977 gegründete, unabhängige, gemeinnützige Verein bezweckt, in der Schweiz zur Durchsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beizutragen. Mein Vater Ludwig A. Minelli ist Anwalt, Gründer und Generalsekretär dieser Organisation.
MS: Der namensgebende Franz Edelmaier (1931–2012) war in Meran als Pater Benedikt bekannt und über 50 Jahre Priester in Untermais und Gratsch. Wie kam die Verbindung zur SGEMKO zustande?
Michèle Minelli: Franz Edelmaier hat Kontakt zu Dignitas aufgenommen, um Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Mein Vater zählt auch zu den Gründungsmitgliedern von DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben. Die beiden lernten sich kennen und Edelmaier hatte den Wunsch, den Einsatz für die Menschenrechte zu unterstützen, deshalb vermachte er seinen Nachlass, darunter auch die Wohnung in Untermais, der SGEMKO.
MS: Wie entwickelte sich das Projekt dann weiter?
Michèle Minelli: Nachdem die Stiftung eine zweite Wohnung im Palazzo Splendor gekauft hatte, jene der Häuserin von Pater Benedikt, ließ sie die beiden renovieren. Die Franz-Edelmaier-Residenz wurde ins Leben gerufen und seit 2015 leben und arbeiten dort quasi lückenlos – mit Ausnahme der Coronazeit – Literaturschaffende. Bis heuer konnten beide Wohnungen vergeben werden. Ab 2023 wird eine davon vermietet, um die Kosten zu decken. Das Projekt war ursprünglich auf fünf Jahre angelegt, wird aber erfreulicherweise weitergeführt.
MS: Bis dato wurden rund 110 Stipendienaufenthalte vergeben. Wer kann sich für das Stipendium bewerben und was sind die Auswahlkriterien?
Michèle Minelli: Das internationale Aufenthaltsstipendium wird an Literaturschaffende, die schreiben, lektorieren, übersetzen usw. und aller Genres – Belletristik, Sachbuch, Dramatik, Spoken Word, Film … – vergeben. Dabei ist nicht maßgebend, ob bereits eine lange Liste von Publikationen vorliegt oder ob jemand noch ganz am Anfang einer Karriere steht. Ausschlaggebend sind in erster Linie die Ernsthaftigkeit, mit der ein Projekt verfolgt wird, sowie der inhaltlich erkennbare Bezug zu Menschenrechten. Eine Dringlichkeit muss spürbar sein und der Wunsch zu erforschen und etwas textlich zu vertiefen. Die Writer in Residence können von zwei bis zwölf Wochen in Meran leben.
MS: Was ist das Besondere an einem Stipendiatsaufenthalt?
Michèle Minelli: Der Wert des Alleinseins. Wenn man in dieser Wohnung ist, fernab von Alltagssorgen und Verpflichtungen, dann wird der Kopf frei, um kreativ zu werden. Ohne Störung. Viele positive Rückmeldungen der Stipendiat/-innen bestätigen das. Es ist einfach einmalig: Wenn man aufwacht, geht der Blick als erstes immer in die Berge. Man sieht die Wolken, den Himmel und in dieser Einmaligkeit stellen sich dann die Gedanken ein, die das eigene Projekt voranbringen.
MS: Du bist derzeit für einige Tage in Meran? Woran arbeitest du?
Michèle Minelli: An mehren Projekten. Vorwiegend an der Rohfassung eines Jugendromans mit den Kernthemen Solidarität und Berufswahl. Junge Menschen stehen unter großem Druck, erleben Einsamkeit und Zweifel. Solidarität kann helfen, diese schwierige Lebensphase besser zu meistern. Im Herbst erscheint mein neuer Roman All das Schöne, außerdem arbeite ich an einem Fachbuch über das Anleiten von Schreibseminaren. Ich nutze die Zeit halt auch zum Schreiben, aber eigentlich bin ich hier, um organisatorische Dinge zu erledigen und die eine oder andere kleine Renovation zu beaufsichtigen.
MS: Seit vielen Jahren gibst du Schreibkurse im Schreibwerk Ost auf dem Iselisberg. Man könnte sagen, du lebst für, mit und von der Literatur.
Michèle Minelli: Für mich ist es essenziell, selbst zu schreiben, Wissen weiterzugeben und Schreibende miteinander zu vernetzen. Als Koordinatorin des Franz-Edelmaier-Stipendiums darf ich zudem Menschen beglücken und sie damit bestenfalls in ihrem Schaffen weiterbringen. Das erlebe ich dann auch selbst als Glück.