Andrea Götsch
Auf der großen Bühne der Musik zu Hause
Im Winter 2020 von Eva Pföstl
Die 25-jährige Meranerin Andrea Götsch ist auf der großen Bühne der Musik zu Hause. Sie wurde im Juni 2019 als erste Frau überhaupt in die Klarinettengruppe des Orchesters der Wiener Staatsoper aufgenommen – und damit praktisch auch als Mitglied der weltbekannten Wiener Philharmoniker.
Ihre ersten Klarinettenstunden erhielt sie mit 8 Jahren an der Musikschule Lana von Christian Laimer, seit 2008 ist sie Mitglied der Algunder Musikkapelle. Ausgebildet wurde die talentierte Musikerin unter anderem am Mozarteum Salzburg, an der Hochschule für Musik in Nürnberg, am Konservatorium „Claudio Monteverdi“ in Bozen sowie am Konservatorium Wien. Zurzeit ist sie im Masterstudium an der Musik- und Kunst-Privatuniversität Wien. Sie war Akademistin der Nürnberger Symphoniker sowie der Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, ist Preisträgerin mehrerer Wettbewerbe und spielte als Substitutin schon bei verschiedenen großen Orchestern, u. a. auch bei den Wiener Philharmonikern, beim Orchester der Wiener Staatsoper und im Mozarteumorchester Salzburg.
Wie es die junge Künstlerin auf die Karriereleiter geschafft hat und wie viel ihr die Heimat und das Fußballspielen bedeuten, erzählt sie im Interview.
Meraner Stadtanzeiger (MS): Wie fühlt man sich so als erste Südtirolerin, die an der Wiener Staatsoper spielt?
A. Götsch: Ich fühle mich geehrt und bin überglücklich, im Wiener Staatsopernorchester spielen zu dürfen. Als erste Südtirolerin in dieses Orchester aufgenommen worden zu sein, fühlt sich besonders an, ebenso die erste Frau in der Klarinettengruppe der Wiener Philharmoniker zu sein. Es war ein weiter und oft auch harter, aber wunderschöner Weg; ich bin stolz, ihn gegangen zu sein und sehr dankbar für die Entwicklung, die ich dabei durchleben durfte. Nun warten unzählige Herausforderungen auf mich, ich bin sehr dankbar in dieser neuen Umgebung weiter wachsen zu dürfen. Ich wünsche jedem Menschen den Mut, seinen Traum zu verfolgen und die Möglichkeit sowie das notwendige Glück, ihn irgendwann leben zu können.
MS: Wie haben Sie es geschafft, an die Wiener Staatsoper / zu den Wiener Philharmonikern zu kommen?
A. Götsch: Indem ich das Probespiel für die freie Stelle in der Wiener Staatsoper am 26. Juni 2019 gewinnen konnte, wurde ich in dieses Orchester aufgenommen. Ich sehe es aber weniger als einen punktuellen Erfolg; in meinen Augen war meine gesamte bisherige Entwicklung notwendig, um das schaffen zu können. Ich hatte das große Glück, von Anfang an von wunderbaren Lehrern unterrichtet worden zu sein; neben der Entscheidung, auf Wiener Klarinette umzusteigen, war wohl die bestandene Aufnahmeprüfung an der Musikuniversität in Wien ein wichtiger Schritt in die Richtung dieses Orchesters. Bald gewann ich erste Probespiele für Jugendorchester und Akademien, durfte in verschiedenen Profiorchestern substituieren und lernte somit die Orchesterwelt immer besser kennen und verstehen; jeder kleine Erfolg und auch Misserfolg brachte mich meinem Traum langsam näher. 2018 gewann ich meine erste feste Stelle als Soloklarinettistin im Orchester der Bühne Baden bei Wien – dank diesem Engagement habe ich viel Kraft, Selbstbewusstsein und Routine gewonnen und war motiviert, mich für das Probespiel an der Wiener Staatsoper bestmöglich und allumfassend vorzubereiten. Da ich in den letzten Jahren bereits als Substitutin und Sommerakademistin unvergessliche Konzerte mit den Wiener Philharmonikern erlebt hatte, verstand ich bald, dass der Wunsch, in dieses Orchester aufgenommen zu werden, nicht bloß ein naiver Kindheitstraum war, sondern ich mir heute noch mehr denn je nichts Schöneres vorstellen kann, als tagtäglich mit diesen Leuten zu musizieren.
MS: Woher stammt die Faszination für die Klarinette?
A. Götsch: Schon mein erster Klarinettenlehrer Christian Laimer konnte in mir von Beginn an eine große Begeisterung für dieses Instrument wecken. Ich liebe den warmen und flexiblen Klang, den weiten Tonumfang sowie die große Virtuosität, die der Klarinette innewohnt; außerdem ist sie äußerst vielseitig einsetzbar, zum Beispiel auch in der Volksmusik oder im Jazz.
MS: Welche Vorbilder haben Sie?
A. Götsch: Viele, in erster Linie meine Kollegen bei den Wiener Philharmonikern. Aber ich finde, man kann fast in jedem Menschen etwas entdecken, das beeindruckt und woraus man etwas lernen kann; schlussendlich sollte man meiner Meinung nach jedoch immer seinen eigenen Weg finden; ich will nicht versuchen, jemand anderer zu sein, sondern möchte einfach ich selbst sein.
MS: Wie schaut Ihr tägliches Arbeitspensum in Wien aus?
A. Götsch: Grundsätzlich findet jeden Abend eine Opernvorstellung statt, untertags warten Proben auf mich, zusätzlich philharmonische Konzerte, die nötige eigenständige Vorbereitung am Instrument, neues Repertoire anhören und einstudieren, viele Konzertreisen ... Von einem Arbeitsalltag kann man in diesem Job kaum sprechen, jeder Tag ist anders.
MS: Sie komponieren auch selber; haben Sie noch Zeit dafür?
A. Götsch: Leider sehr wenig, aber ich mach das sehr gerne und freue mich deswegen auch immer sehr über Aufträge, da ich dann Zeit zum Komponieren aufbringen „muss“, auch wenn eigentlich keine da ist.
MS: Was ist der Albtraum eines jeden Klarinettisten?
A. Götsch: Dass das Klarinettenblatt auf der Bühne plötzlich kaputtgeht.
MS: Ist Ihnen das schon mal in einem Konzert passiert?
A. Götsch: Nein, aber vor einigen Jahren hatte ich einmal vergessen, überhaupt ein Blatt aufs Mundstück zu spannen und habe es erst bemerkt, als es schon zu spät war. Zum Glück waren diese ersten Töne nicht sehr wichtig. Zur Sicherheit habe ich meist Ersatzmaterial griffbereit.
MS: Ihr Lebensmittelpunkt ist nun in Wien. Wie gefällt Ihnen die Stadt und haben Sie sich gut integriert?
A. Götsch: Wien ist nicht umsonst immer wieder zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität der Welt ernannt worden, sie gefällt mir super und ich fühle mich total wohl. Gerade für die Musikwelt ist Wien natürlich eine besonders lebenswerte Stadt, mit den Opernhäusern, den Theatern und Konzertsälen, den verschiedenen Orchestern, den Ausbildungsstätten usw. Wien hat so ein enormes und breites Kulturangebot wie wohl kaum eine andere Stadt.
MS: Ihre Leidenschaft ist auch Fußball? Spielen Sie? Was fasziniert Sie am Fußball?
A. Götsch: Seit einem knappen Jahr bin ich wieder bei einem Verein gemeldet, nämlich beim Wiener Sportclub. Mit dem Kicken beim FC Obermais habe ich schon vor der Klarinette begonnen, anfangs mit den Jungs und dann im Frauenteam. In meiner Studienzeit in Salzburg spielte ich beim Lieferinger SV, in Wien legte ich den Fußball dann ein wenig zur Seite, um mich voll auf die Musik zu konzentrieren. Als ich dann jedoch in der Mannschaft der Wiener Philharmoniker gegen andere Orchester spielen durfte, merkte ich, wie sehr mir dieser Sport fehlte! Schon lustig, dass mich die Wiener Philharmoniker wieder zum Fußball gebracht haben... Ich liebe diesen Sport und alles was dazu gehört: füreinander kämpfen, gemeinsam gewinnen oder verlieren, Fokus und Konzentration, Ordnung und Kreativität, Aktion und Reaktion, körperliche Fitness, Spaß! All diese Eigenschaften sind übrigens im Orchester auch nicht irrelevant.
MS: Welche Musik hören Sie am liebsten?
A. Götsch: Ich kann mich auf unterschiedlichste Musikstile einlassen, höre z.B. auch sehr gerne Pop- oder Filmmusik. Im klassischen Bereich liebe ich Gustav Mahler, Giacomo Puccini und Richard Strauß. Vor kurzem habe ich auf unserer Asientournee die 8. Sinfonie von Bruckner angehört und mindestens eine Stunde lang flossen mir Tränen über die Wangen, weil mich diese intensive Musik so berührt hat.
MS: Mit wem würden Sie gerne zusammenarbeiten?
A. Götsch: Genau mit den Musikern, mit denen ich gerade arbeiten darf.
MS: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
A. Götsch: Mit den Wiener Philharmonikern im Musikverein.
MS: Was ist Ihr Lieblingssatz?
A. Götsch: Der 4. aus Mahlers 5. Sinfonie: „Vertraue dem Lauf der Dinge, es kommt alles so wie es kommen soll.“
MS: Was schätzen Sie besonders, wenn Sie auf Heimatbesuch kommen?
A. Götsch: Das Klima, die Natur und die Berge, das leckere Essen, den italienischen Kaffee; natürlich die Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden, die vielen schönen Kindheitserinnerungen, die wieder auftauchen.
MS: Wann dürfen wir uns freuen, Sie in Meran spielen zu hören? Haben Sie diesbezüglich Pläne?
A. Götsch: Direkt für Meran habe ich leider noch keine konkreten Pläne (ich hätte mich sehr gefreut, mit dem World Orchestra Of Peace bei den Meraner Musikwochen 2020 zu spielen, da ich aber zu der Zeit bei den Salzburger Festspielen voll im Einsatz bin, kann ich leider nicht dabei sein), aber in naher Umgebung: Ich werde am 10. Juli 2020 einen Soloabend in Kaltern im Rahmen der Veranstaltungsreihe des Forum Musik Kaltern gestalten und im selben Monat als Solistin mit dem SJBO in Schlanders und Bozen auftreten, außerdem hoffe ich auch, bald wieder bei einem Auftritt der Algunder Musikkapelle dabei sein zu können.