„Die Berühmten sind nicht die Besten“
Sänger und Bauingenieur Toni Klotzner aus Obermais
Im Herbst 2012 von Dr. Paul Bertagnolli
Am Freitag, 16. November ist Premiere der „Czárdásfürstin“ im Waltherhaus in Bozen, eine Produktion der Südtiroler Operettenspiele, die sich zum Ziel gesetzt haben, Operetten aufzuführen, die in erster Linie mit Südtiroler Darstellern und Musikern besetzt sind. Der aus Obermais stammende Tenor Toni Klotzner ist von Anfang an, seit 2008, bei den Südtiroler Operettenspielen mit dabei. Heuer wird er in der Czárdásfürstin die männliche Hauptrolle, den Edwin, spielen.
Toni Klotzner, der in seiner Jugend vor allem als Badminton-Spieler erfolgreich war und viermal Italienmeister wurde, absolvierte in München ein Studium als Bauingenieur. Neben dieser Tätigkeit studierte er privat Gesang bei Hans Wilbrink und Hartmut Elbert in München sowie bei Vito Brunetti (Bozen) und besuchte Meisterklassen bei William Reimer (Hannover) und Kurt Widmer (Basel). Seit 1998 trat er als Bariton in verschiedenen Opernproduktionen auf und wechselte im Jahre 2002 in das Tenorfach. Seither trat er u.a. als Hermes in „Orpheus in der Unterwelt“ (J. Offenbach), Borsa in „Rigoletto“ (G. Verdi), Spoletta in der Oper „Tosca“ (G. Puccini) und als Nemorino in Donizettis „L’ elisir d’ amore“ auf. Im Oktober 2005 hatte er seinen ersten Fernsehauftritt in Form eines Sängerporträts im ORF und 3Sat. Toni Klotzner widmet sich eine Hälfte des Jahres einer regen Konzerttätigkeit bei Opern- und Operettenkonzerten sowie Kirchenkonzerten weltweit. Als einen Höhepunkt sieht er selbst seinen Tenor-Solopart in Beethovens 9. Symphonie zusammen mit dem New Philharmonic Orchestra Hong Kong. In Südtirol war er 2007 in Orffs „Der Mond“ zu hören. Weitere Rollen seit 2006 sind der Herzog in „Rigoletto“ (G. Verdi), Don Ottavio in „Don Giovanni“, Tamino in „Die Zauberflöte“ (W. A. Mozart), Alfred in der Operette „Die Fledermaus“ und Ismael in der Oper „Nabucco“ (G. Verdi). Toni Klotzner, der in München lebt und einen 19-jährigen Sohn hat, erzählte dem Meraner Stadtanzeiger von seiner Liebe zur Oper und seinem nicht alltäglichen Weg zum Berufssänger.
MS: Sie werden im November und Dezember in Bozen bzw. Brixen in der Czárdásfürstin auf der Bühne stehen, einer Geschichte um Liebe und Familienzwänge – eher leichte Unterhaltung. Was gefällt Ihnen an der Operette?
T. Klotzner: Die Operette wird von vielen belächelt. Doch sie ist vom Musikalischen her sehr interessant und auch schwierig und keinesfalls mit dem „Musikantenstadl“ zu vergleichen. Viele Kollegen haben vor der Operette noch mehr Respekt als vor der Oper, weil sie große, v.a. stimmliche Herausforderungen an den Sänger stellt: Er muss reden und dann wieder singen, was eine große Umstellung bedeutet, da der Stimmsitz für das Reden und das Singen bei den meisten nicht derselbe ist. Außerdem muss der Sänger auch ein guter Schauspieler sein, er muss tanzen und Dialoge führen – es genügt nicht, wie in der Oper, sich einfach hinzustellen und eine Arie zu singen.
MS: Sie sind ausgebildeter Bauingenieur und zugleich Sänger ...
T. Klotzner: Nach meinem Studium in München arbeitete ich als Bauingenieur v.a. im Bereich Brückenbau. Nebenbei nahm ich private Gesangsstunden und bekam dann auch meine ersten Rollen. 2005, da war ich 38, wurde mir die Doppelbelastung zu viel, da ich immer größere Rollen bekam, aber auch Abteilungsleiter in meinem Betrieb war. Ich wollte beides gut machen. So setzte ich für ein halbes Jahr aus und überlegte, wie es weitergehen soll. Ich habe mich fürs Singen entschieden.
MS: Mit 38 den sicheren Beruf aufgeben und die Künstlerlaufbahn wählen – das ist schon sehr mutig.
T. Klotzner: Es klingt mutiger als es ist. Es war eher eine Erleichterung, auf eine der Karrieren zu verzichten. Ich hatte damals schon 15 Jahre als Ingenieur gearbeitet und einen sehr guten Ruf. Ich wusste, dass man mir, wenn ich wieder in den Beruf einsteigen wollte, sofort einen Job geben würde. Außerdem habe ich den Ingenieursberuf nie ganz aus den Augen gelassen: Ich bin ein halbes Jahr immer sängerisch unterwegs, mach bei oft aufwendigen Projekten mit, bei Opern und Operetten. In der anderen Jahreshälfte bleibe ich in München. Ich gebe dann zwar Konzerte, aber da ich auf ein Repertoire zurückgreifen kann, ist dies nicht so aufwendig. So bleibt mir Zeit für Projekte als freier Mitarbeiter im Ingenieursbereich. Ich mach das, um auch als Ingenieur auf dem Laufenden zu bleiben, weniger aus finanziellen Gründen. Ich habe als Sänger so viele Engagements, dass ich davon leben kann.
MS: Ihre erste große Rolle war auch ein Anlass, sich ganz dem Singen zu widmen. Wie kamen Sie zu diesem Engagement?
T. Klotzner: Ich habe es über eine Kollegin bekommen. Sie sang die Damenhauptrolle und hat mich empfohlen – weil ich größer war als sie. Meistens sind nämlich Tenöre eher klein, also werden meist auch kleine Soprane ausgesucht, damit sie nicht den Mann überragen. Nun war meine Kollegin eher groß und um das Engagement trotzdem zu bekommen, suchte sie einen Tenor, der größer war als sie – eben mich! Außerdem wollte sie einen Partner, mit dem sie sich versteht. Es ist angenehm, wenn man als Paar auf der Bühne menschlich gut auskommt. Das ist nicht selbstverständlich, denn Sänger sind große Individualisten.
MS: Sänger sind also ganz andere Typen als Ingenieure?
T. Klotzner: Man meint immer, Ingenieure sind genau und diszipliniert, Künstler hingegen undisziplinierte Lebemenschen. Ich empfinde, dass es umgekehrt ist. Man unterschätzt die Kreativität der Ingenieure, aber auch die Disziplin der Sänger! Ein Ingenieur muss viel Kreativität aufbringen, die der Laie gar nicht erkennt. Viele Sängerkollegen erstaunen mich anderseits, wie diszipliniert sie sind und auf ihre Stimme aufpassen. Manche übertreiben es fast, gehen zu keinem Fest und trinken keinen Schluck Alkohol. Es gibt kaum einen Beruf, wo man so viele richtige Sachen zur richtigen Zeit können muss. Bei einer Szene auf der Bühne müssen oft 100 Leute zur richtigen Zeit das Richtige tun, das erfordert höchste Disziplin.
MS: Bleibt dann für den Sänger überhaupt noch Raum für eigene künstlerische Kreativität?
T. Klotzner: Als Sänger habe ich es immer mit dem Werk eines Komponisten und eines Librettisten zu tun. Man muss dem hohen Respekt zollen und das Werk in ihrem Sinne interpretieren. Aber ich bin als Sänger das Medium, als Mensch einmalig – und so kommt immer eine Interpretation heraus, die ein anderer nicht machen kann. Wenn ich eine Rolle spiele, habe ich immer auch die Freiheit, meinen Charakter einfließen zu lassen. Freilich ist es heute so, dass man auch als Sänger vor allem funktionieren muss. Es wird nicht gefragt, wie ich mich fühle oder wie ich es haben möchte. Jede Musikproduktion ist eine Art Unternehmen nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben. Das Ziel ist, dass die Zuschauer kommen.
MS: Das klingt ernüchternd, wenn sogar die Kunst, als einer der letzten Horte der menschlichen Freiheit, nur mehr Funktionieren und Geldverdienen bedeutet.
T. Klotzner: Die Genialität geht verloren. Auch bei den Weltstars. Die Pavarottis und Callas gibt es nicht mehr! Sänger sind heute vor allem eines: zuverlässig. Das ist heute der Zeitgeist. Aber auch dieses System der Ordnung wird an seine Grenzen kommen.
MS: Ihre Entscheidung für den Gesang war auch rational geplant?
T. Klotzner: Nein, ich habe mich aus dem Bauch heraus entschieden. Die wichtigen Entscheidungen sind meistens so komplex, dass man sie nicht rational lösen kann. Jeder sagte: Bist du verrückt, einen so gut bezahlten Job aufzugeben? Ich habe aber eine Grundentscheidung gefällt: Ich weiß, dass ich nicht viel Geld brauche, um glücklich zu sein. Wenn man das weiß, fallen viele Entscheidungen leichter.
MS: Denken Sie nie daran, wieder hauptberuflich als Ingenieur zu arbeiten?
T. Klotzner: Ich schließe eine Rückkehr nicht aus. Viele Sänger sind auf ihre Stimme angewiesen, müssen aber, um Aufträge zu bekommen, Dinge tun, die für ihre Stimme schädlich sind. Ich habe den Luxus, nein zu sagen. Ich hätte ja auch die Möglichkeit, fix für ein Opernhaus zu singen. Dann müsste ich aber alle Rollen singen, die mir vorgegeben werden, egal, ob sie gut für die Stimme sind oder nicht. Es gibt den lyrischen Tenor, den hellen baritonähnlichen Tenor, den leichten Buffo-Tenor und den Spinto-Tenor, das ist der jugendlich-dramatische Tenor, wie er bei Verdi und Puccini gefragt ist. Ich bin ein „tenore spinto“ – Mozart zu singen wäre für mich, wie wenn ich mit einem Lastwagen eine enge Passstraße fahren müsste. Es tut meiner Stimme nicht gut. Ein fixes Engagement ist außerdem kein sicherer Job. Man bekommt nur Zweijahresverträge. Bei einer Kündigung kann es dann sein, dass deine Stimme schon kaputt ist und man wieder vorsingen gehen muss. Eine Kollegin von mir, knapp über 40, sang vor zwei Jahren noch große Rollen, heute singt sie für 100 Euro Arien bei Dinners. Doch Sänger sind Gegenwartsmenschen. Sie denken nicht weit voraus und nicht weit zurück und so leiden sie unter solchen Schicksalen auch weniger.