Worte und Wörter
Im Sommer 2008 von Dr. Luis Fuchs
„Mir fehlen die Wörter“, meint ein aufgebrachter Museion-Besucher nach der Konfrontation mit dem grünen Frosch. Sollten ihm wirklich die Wörter fehlen, müsste er nur im Wörterbuch nachschlagen. Allerdings: Wenn er nicht weiß, was er sagen soll, dann fehlen ihm wahrscheinlich die Worte, nicht die Wörter. Man spricht nämlich von Wörtern, wenn diese im eigentlichen Sinne, als kleinste grammatische Einheit eines Satzes, gemeint sind. So besteht ein Satz aus mehreren Wörtern. Viele deutsche Wörter sind mit englischen Wörtern verwandt. Der PC fragt nach Passwörtern, nicht nach Passworten. Worterklärungen finden wir in einem Wörterbuch, nicht in einem Wortebuch. Unter Worten hingegen versteht man zusammenhängende, sinnvolle Gruppen einzelner Wörter: Wir sprechen Begrüßungsworte, Worte der Anerkennung und des Dankes aus, wir reden mit guten Worten auf jemanden ein, wir machen nicht viele Worte. „Österreich ist frei“ und „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ sind große Worte berühmter Politiker. Wer sprichwörtlich große Worte macht, der spuckt nur große Töne. Wir geben unser Ehrenwort, und wenn wir es zweimal tun, dann sind es Ehrenworte, nicht Ehrenwörter. Man kann sich an der Kurz-Formel orientieren: Wörter bestehen aus Buchstaben, Worte aus Gedanken.
Es gibt genug weitere Hauptwörter, die zwei Mehrzahlformen mit unterschiedlicher Bedeutung haben. Wir können uns viele Dinge durch den Kopf gehen lassen und vor allen Dingen guter Dinge sein. Von jungen Dingern spricht man, wenn man Halbwüchsige nicht für voll nimmt. Tausende von Gläubigen werden zum Angelus-Gebet des Papstes nach Brixen pilgern. Von Gläubigern bedrängt werden zahlungsunfähige Schuldner. Muttern gehören in den Handwerkskasten eines Mechanikers. Den Müttern zu Ehren begeht man in Deutschland seit 1923 den Muttertag. Zu diesem Anlass verehren ihnen die Kinder auch Sträuße. Die Vogel-Strauß-Politiker sollen den Straußen das Kopf-in-den-Sand-Stecken abgeschaut haben. Goethe gilt in deutschen Landen immer noch als Dichterfürst höchsten Ranges. Diesen Rang nimmt in angelsächsischen Ländern Shakespeare ein. Bestimmte Wörter verwenden wir überhaupt nur in der Mehrzahl. Aus Eltern und Leuten kann man nie eine Einzelperson ableiten; auch Ferien und Flitterwochen können zum Glück ausschließlich in der Mehrzahl genossen werden.
Um auf den Dichterfürsten zurückzukommen, soll die letzte Äußerung Goethes nicht aus Wörtern, sondern aus den zwei Worten bestanden haben: „Mehr Licht!“