Berlusconi, der große Ablenker
Gastkommentar von Georg Schedereit
Von seinen Sprüchen, Flunkereien, Zweideutigkeiten und glatten Lügen ließ sich jene Wählerschaft, die von Politikern sowieso nichts hält, mehrheitlich jahrzehntelang gern ablenken.
Ablenken von der schwerverständlichen Mühsal des parteipolitischen und überbürokratisierten italienischen Alltags.
Ablenken durch die konkurrenzlos seichte Medienmacht und TV-Professionalität dieses Massenkommunikators par excellence und „terrible simplificateurs“.
Ablenken von jeder sachorientierten Problemlösungspriorität im einzigen OECD-Staat, dessen Wirtschaftsleistung auch während der Berlusconi-Jahrzehnte stagnierte.
Der hyperdynamische Schwerenöter hat nur in die eigenen und befreundeten Taschen hineingewirtschaftet. Fürs Gemeinwohl in Italien hat sich unter ihm fast nichts zum Besseren gewendet, im Gegenteil. Das stellen fast alle unabhängigen ausländischen Beobachter fest.
Südtiroler Bewunderer der von Berlusconi gestützten heutigen Rechtsregierung vergessen gern, oder finden es inzwischen sogar gut, dass er es war, der die Neofaschisten salonfähig gemacht hat.
Der Autonomie-Stillstand unter ihm. Sein damaliges Herumpoltern gegen Brüssel. Seine demonstrative Freundschaft mit dem Gewaltherrscher Vladimir Putin. Alles vergessen und vergeben?
Italiens Linke, intellektuell oft überheblich, hat allerdings in der Ära Berlusconi auch nicht viel zustande gebracht – außer sie ungewollt zu verlängern: durch ihre traditionell geradezu selbstmörderische Zerstrittenheit.
Insofern ist Italiens linke Mitte sogar hauptverantwortlich für die politische Fast-Unsterblichkeit dieses ersten verhaltensauffälligen Entertainers und Egomanen auf der politischen Bühne der westlichen Welt.