Der ewige Friede als höchstes Gut
Im Frühling 2024 von Dr. Ferruccio Delle Cave
Wenn … die Bestimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg sein soll, oder nicht, so ist nichts natürlicher, als dass, sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müssten, … sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen. Die Sätze stehen in Immanuel Kants „philosophischem Entwurf“ mit dem Titel „Zum ewigen Frieden“ aus dem Jahr 1795, neun Jahre vor seinem Tod in Königsberg. Es war ein Jahr tiefgreifender politischer Umwälzungen, als Immanuel Kant seinen „Ewigen Frieden“ erdachte und zu Papier brachte: Der Beginn der französischen Revolution lag nur sechs Jahre zurück und Kant kämpfte in Königsberg mit der preußischen Zensur, die seine politischen Schriften mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Doch im Sommer 1795 war kein Zögern und Schweigen mehr möglich und so veröffentlichte er seinen für uns heute so wichtigen und so aktuellen Entwurf zum „Ewigen Frieden“. Der ewige Frieden war ihm das „höchste politische Gut“. Allerdings unterstreicht er bereits in seinem Vorwort: Ob diese satirische Überschrift auf dem Schilde eines holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt sein.
Wem hätte nun dieser berühmteste deutsche Philosoph heute seine Schrift entgegengeschleudert? Er, der im fernen und abgesicherten Königsberg nie einen Krieg hautnah erlebt hat, der mit seinen drei großen Abhandlungen – die „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) und die „Kritik der Urteilskraft“ (1790) – davon geträumt hat, ein allgemeingültiges, zeitloses und vernunftbasiertes Modell des Zusammenlebens und der Toleranz sowie ein analytisches Instrument der Welterkenntnis zu schaffen, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Deshalb ist Kants Denken, so systemisch es und für viele Leser/-innen so sprachlich unzugänglich erscheinen mag, heute gewiss noch von großer Aktualität. Dies belegt geradezu diese späte Schrift zum Ewigen Frieden, die als Summe aus allen vorhergehenden zu sein scheint. Und der Friede ist deshalb ein so hohes Gut, weil nur er es möglich macht, die Rechte der Menschen zu schützen. Und Friede ist bei Kant ein Rechtszustand zwischen einzelnen Staaten, analog zum Rechtszustand zwischen den Bürgern eines Staates. Kant erinnert dabei an Thomas Hobbes „Gesellschaftsvertrag“, der die Rechtfertigung politischer Herrschaft und staatlicher Macht in einem, wenn auch stets labilen Gleichgewicht gebettet hält. Kant spricht in seinem Entwurf auch von einem durch ein „Völkerrecht“ begründeten Bund der Völker“ und nimmt prophetisch den Völkerbund vorweg, einen internationalen Zusammenschluss von Staaten aus fast allen Teilen der Welt, der am 10. Jänner 1920 als Teil des Versailler Vertrags gegründet worden ist, eigentlich der Beginn unserer heutigen UNO: Völker, als Staaten, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande schon durch ihr Nebeneinandersein lädieren, und deren jeder, ums seiner Sicherheit willen, von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerlichen ähnliche Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann.
Der „ewige Friede“ war wohl Kants kühnster Traum, weil er sich darin auch am weitesten von der Vernunft entfernt hat: Mit den Völkern der Erde sei es so weit gekommen, dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird. Heute ist der Frieden mit Putins Angriff auf die Ukraine in weite Ferne gerückt. Wieder einmal wurde der Krieg als Mittel der Machtausübung verwendet. Auch im Gaza-Konflikt tun sich immer größere und gefährlichere Abgründe auf. Wenn auch Kant zu einer anderen Zeit lebte und wirkte als der unseren, war er keineswegs ein weltfremder Philosoph, wie er oft gekennzeichnet wird. In einer Zeit sich anbahnender Großkonflikte betrat Immanuel Kant mit 71 Jahren den Hörsaal der Universität zu Königsberg und sprach über den Frieden. Vorausgegangen waren unzählige Schriften, die ihn zum ersten Philosophen in Europa gemacht haben, so die „Kritik der reinen Vernunft“, ein Meilenstein europäischer Geistesgeschichte. Der 22. April 2024, an dem wir den 300ten Geburtstags Kants feiern, darf nicht der einzige Grund dafür sein, dass man sich mit seiner Philosophie beschäftigen soll. Nicht nur seine Überlegungen zu Demokratie und Frieden, seine Gedanken über Schönheit und Natur, auch seine Analyse von Moral und Recht wie auch die Erkenntnis der Grenzen menschlichen Wissens sollten uns heute ebenso zu denken geben.
Und als Abschluss seines Entwurfs zum „Ewigen Frieden“ schreibt er: