Wer A sagt, muss nicht B sagen
Im Herbst 2015 von Dr. Luis Fuchs
„Wirtschaft will dem Bozner Flugplatz Flügel verleihen.“ Südtirol müsse unbedingt von der Luft aus erreichbar sein, fordern die Wirtschaftstreibenden. Dies sei eine Voraussetzung, dass Südtirol nicht von der Landkarte verschwinde, bekräftigt Landeshauptmann Kompatscher. Geschickt setzt das Tagblatt der Südtiroler die Redewendung „Flügel verleihen“ als Schlagzeile ein: Ohne Flügel fliegt kein Flieger, und auch die Hoffnung muss beflügelt werden.
Unsere Umgangssprache ist reich an bildhaften Redewendungen, auf deren ursprüngliche Bedeutung wir uns kaum mehr besinnen. Wenn wir wie ein Murmeltier schlafen, wachen wir dann den ganzen Winter nicht mehr auf? Sind wir uns bewusst, was wir anstellen, wenn wir das Kind mit dem Bade ausschütten? Mit einer gedankenlosen Selbstverständlichkeit plappern wir Sprüche nach, ohne je deren Stichhaltigkeit zu hinterfragen. „Wer A sagt, muss auch B sagen.“ Haben wir dieses allgegenwärtige Sprichwort nicht auch selbst verwendet? Der große Literat Bert Brecht stößt uns vor den Kopf, wenn er uns auffordert: „Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch gewesen ist.“
Abgedroschene Phrasen schläfern den Leser ein. „Friede, Freude ...“ und, ach ja selbstverständlich „Eierkuchen“, der Leser braucht keinen Gedanken hierüber verlieren. „Was lange gärt, wird endlich Wut.“ Als Schlagzeile ist das Sprichwort geschickt verzerrt, denn Wut ist keineswegs ein alltägliches Reizwort. „Reich und Reich gesellt sich gern“, die veränderte Formulierung reizt sicher des Lesers Neugier.
„Ich denke, also bin ich hier falsch.“ Wer das „Cogito ergo sum“ des Philosophen Descartes auf solch respektlose Art ergänzt, dem kann „der Schuss nach hinten“ losgehen. „Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage.“ Diese Wendung ist wohl weniger auf Minderwertigkeitskomplexe als auf scherzhafte Selbstironie zurückzuführen. „Jeder Mensch hat das Recht, meine Meinung zu vertreten.“ Durch das Ersetzen eines einzigen Buchstabens wird das Selbstbewusstsein des Sprechers gesteigert. „Sie haben ja gastronomische Preise hier!“ „Astronomisch“ hat der Gast wahrscheinlich gemeint, aber nicht ausdrücklich gesagt.