Meran ist schon längst kein Luftkurort mehr
Im Herbst 2018 von Eva Pföstl
Der Tourismus generiert in Südtirol rund 17 Prozent der lokalen Wertschöpfung und boomt seit Jahren. Was für Touristiker ein Grund zur Freude ist, wird von der Bevölkerung nicht nur positiv eingestuft. Einige sind der Meinung, dass es zuviel ist. Wir sprechen mit Heinrich Dorfer, Hotelier und Unternehmer aus dem Passeiertal, und mit Helmuth Köcher, Präsident und Gründer des Merano WineFestivals.
MS: Die Übernachtungszahlen der Gäste sind in Südtirol in den letzten Jahren stetig gestiegen. Wohin soll die Entwicklung im Tourismus gehen?
H. Dorfer: Die Qualität der Angebote im Tourismusbereich hat in Südtirol in den letzten Jahren deutlich zugenommen und wir stehen sehr gut da. Die Entwicklung muss weiterhin in Richtung Qualitätstourismus gehen. Qualitative Verbesserungen und Erweiterungen sind notwendig, denn das Qualitätsverständnis hat sich im Laufe der Zeit verändert. Ein Stehenbleiben kann man sich nicht leisten, da die Ansprüche der Leute immer größer werden. Dies ist in jedem Bereich so, vom Auto bis zum Hotel.
H. Köcher: Wir müssen einen Balanceakt finden, der sowohl die Bedürfnisse der Einheimischen als auch der Touristikbranche berücksichtigt. Ich kann gut verstehen, dass sich die Einheimischen zu Spitzenzeiten vom Tourismus oft überfordert fühlen und von der Politik Maßnahmen fordern. Wir dürfen nicht riskieren, zum Phänomen des Massentourismus, wie wir ihn in den 90er-Jahren hatten, zurückzukehren, sondern müssen auf Qualitätstourismus setzen. Die 5-Sterne-Betriebe, die in den letzten Jahren in Meran entstanden sind, gehen genau in diese Richtung. Es ist wichtig, einen Qualitätstourismus zu fördern und voranzutreiben. Alta Badia geht mit gutem Beispiel voran. Dort hat sich ein Tourismus von hoher Qualität entwickelt, der im Einklang mit seiner Umgebung steht, d. h. mit schöner Natur, guter Hotellerie und Gastronomie. Nicht umsonst finden wir dort viele Spitzenrestaurants.
MS: Wenn immer weiter gebaut wird, zerstört sich dann der Tourismus nicht selbst?
H. Dorfer: In einigen Dörfern, wie Schenna und Dorf Tirol, ist der Zenit sicherlich bereits erreicht. Es ist genug. Das muss man auch als Touristiker eingestehen. Da muss man genau schauen, was weiterhin passiert. Aber z. B. im Passeiertal und im Ultental gibt es noch Potential für eine touristische Entwicklung. Diese ist jetzt ja auch explizit mit dem neuen Urbanistikgesetz geregelt.
H. Köcher: In Schenna und in Dorf Tirol wurde übertrieben, was die Gastgewerbestrukturen anbelangt. Man hat einfach gebaut, „gewurschtelt“, ohne sich Gedanken über das ganze Umfeld zu machen. Man hat kurzfristig gedacht. Da der Tourismus jedoch für Südtirol ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor ist, braucht es eine langfristige Planung und Ausrichtung des gesamten touristischen Sektors. Ein ständiger Dialog ist sehr wichtig. Dreh- und Angelpunkt für eine erfolgreiche Zukunft im Tourismus ist für mich auf jeden Fall die Zufriedenheit all jener, die hier leben und Urlaub machen. Deshalb ist es besonders wichtig, eine hochklassige und vernetzte Gastronomie und Hotellerie zu fördern.
MS: Der Individualverkehr ist sicherlich eine der spürbarsten Belastungen des Tourismus und hat bereits negative Auswirkungen auf die Tourismusgesinnung der Bevölkerung, aber auch auf die Attraktivität als Tourismusdestination. Wie stehen Sie dazu?
H. Dorfer: Sicherlich ist es so, dass der Verkehr in der Stadt Meran an Regentagen oder jetzt zur Zeit der Bauarbeiten zusammenbricht. Das ist richtig, aber man darf solche Spitzentage mit Regen oder jetzt mit den Bauarbeiten, an denen der Verkehr total zusammenbricht, nicht immer als Standardsituation hernehmen. Man muss auch „normale“ Tage hernehmen und da ist es auf unseren Straßen nicht so voll. Außerdem möchte ich betonen, dass das Verkehrsaufkommen in Südtirol auch wesentlich hausgemacht ist. Der Meraner fährt am Wochenende in den Vinschgau, um eine Wanderung zu unternehmen, und umgekehrt. Dabei wird auch Verkehr verursacht. Der Mensch ist heute sehr mobil geworden, ebenso der Gast. Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft und Verkehr ist ein globales Wohlstandsphänomen. Leider wird das Verkehrsproblem viel zu oft nur auf den Tourismus abgewälzt.