Milch, Laktose und Laktoseunverträglichkeit
Gespräch mit einem Ernährungsmediziner
Im Herbst 2016 von Margareth Bernard
In Zusammenhang mit Milch und dem darin enthaltenen Milchzucker, der Laktose, geistern in den Köpfen der Menschen sehr unterschiedliche Meinungen und Überzeugungen herum. Die Laktoseunverträglichkeit ist zu einem Schlagwort im Bereich Ernährung geworden. Die Milch und die Milchprodukte werden aber oft zu Unrecht vom Speisezettel verbannt.
Meraner Stadtanzeiger: Herr Nösslinger, immer mehr Menschen reagieren auf Laktose mit einer Unverträglichkeit. Was sind die Symptome?
Hannes Nösslinger: Die häufigsten Symptome zeigen sich im Gastrointestinaltrakt, das heißt, es treten Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen, Verstopfung oder ein Wechsel zwischen Durchfall und Verstopfung auf. Es gibt aber auch seltenere Symptome wie Aufstoßen oder Kopfschmerzen. In einem Gespräch werden zuerst alle akut gefährlichen Ursachen für diese Symptome abgeklärt, dann wird die Laktoseunverträglichkeit in Betracht gezogen.
MS: Der Genuss welcher Milch hat diese Unverträglichkeit zur Folge, nur jene der Kuh oder auch Schaf- und Ziegenmilch?
H. Nösslinger: Bei einer diagnostizierten Laktoseunverträglichkeit darf man keine Form von Säugetiermilch trinken, denn Frischmilch hat den größten Gehalt an Laktose. Bei den Milchprodukten ist dieser Gehalt sehr unterschiedlich. Beim Käse etwa wird durch die Reifung der Gehalt an Laktose reduziert, deshalb kann jemand mit einer Laktoseunverträglichkeit so gut wie jeden reifen Käse essen, wie z. B. Parmesan.
MS: Wie wird eine Laktoseunverträglichkeit diagnostiziert?
H. Nösslinger: Dazu verwenden wir den Wasserstoff-Atemtest. Dabei wird auf nüchternen Magen ein Glas Wasser mit 50 g Laktose verabreicht. Wenn nun die Laktose, die aus Glukose und Galaktose besteht, in unserem Dünndarm nicht richtig aufgespalten wird, gelangt sie in den Dickdarm. Dort verzehren die Bakterien die Laktose und produzieren verschiedene Arten von Gasen. Eines davon ist Wasserstoff, der über die Blutbahn in die Lunge gerät und ausgeatmet wird. Im Laufe des Tests wird jede halbe Stunde der Gehalt an Wasserstoff im Atem gemessen.
MS: Ist ein solcher Test zuverlässig und aussagekräftig?
H. Nösslinger: Dieser Test gilt als Standardmethode. Man muss den Test natürlich auch richtig interpretieren, also lesen können. Auch die Beschwerden des Patienten müssen mit interpretiert werden. Es gibt in seltenen Fällen Menschen, die keinen Wasserstoff im Darm produzieren, dann muss man die Beschwerden auf einem anderen Weg abklären.
MS: Was kann der Körper bzw. der Verdauungsapparat nicht, wenn ein Mensch an einer Laktoseunverträglichkeit leidet?
H. Nösslinger: Es braucht das Enzym Laktase, um die Laktose im Dünndarm aufzuspalten. Wenn dieses Enzym, das der Körper selbst produziert, nicht ausreichend vorhanden ist, kommt es zur Unverträglichkeit. Das ist in den meisten Fällen eine ganz natürlich Entwicklung, denn wir brauchen das Enzym lebenserhaltend nur so lange, wie wir als Baby gestillt werden. Deshalb haben Kleinkinder eine gute Produktion von Laktase. Mit der Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen reduziert sich diese Produktion, wodurch eine Unverträglichkeit entstehen kann. Diese hat nichts mit einer Allergie zu tun, es bedeutet nur, das man nicht eine große Menge Laktose zu sich nehmen kann. Oft vertragen die Patienten kleine Milchmengen ohne Probleme.
MS: Hat die Zahl der an Laktoseunverträglichkeit leidenden Menschen in letzter Zeit zugenommen?
H. Nösslinger: Ich glaube nicht, dass sie zugenommen hat, denn eigentlich ist die Unverträglichkeit ein Normalfall. Ungefähr drei Viertel der Weltbevölkerung haben eine solche Unverträglichkeit. Am Äquator in Afrika gibt es fast keine, in Südostasien sind mehr als 80 % betroffen. Je weiter im Norden die Menschen leben, desto leichter vertragen sie die Laktose; da gibt es schon in Italien von Süd nach Nord eine Zunahme der Verträglichkeit, noch mehr Richtung Nordeuropa. Das hat vermutlich damit zu tun, dass im Norden immer schon mehr Milchprodukte zu den Nahrungsmitteln gehörten und der Körper sich durch Mutation angepasst hat.
MS: Dann ist das nur ein Gefühl, dass diese Zahl zugenommen hat?
H. Nösslinger: Ja, das ist ein Gefühl. Früher hatten wir keine Möglichkeit, eine Laktoseunverträglichkeit zu diagnostizieren. Außerdem wird das auch ein bisschen von der Industrie gefördert, weil immer mehr laktosefreie Produkte produziert werden, die verkauft werden müssen.