Der Kuss
Im Sommer 2023 von Robert Asam
Wann immer vom „Kuss“ die Rede war, musste ich an Klimt denken. Sein Bild zeigt zwei menschliche Figuren, eng umschlungen. Für meinen Geschmack ein bisschen viel Blattgold. Klimt eben. Aber ebenso viel Leidenschaft und Sinnlichkeit. „Der Kuss“ zeigt einen emotionalen Moment, den beide Protagonisten mit derselben Intensität empfinden. Zwei Liebende verschmelzen ineinander, werden eins in gegenseitiger Zuneigung, was bei solchen Handlungen nicht ganz unwichtig ist. Was vorher war, wissen wir nicht. Ein Abschiedskuss? Wohl kaum. Vielleicht wartet das Paar ungeduldig darauf, dass der Meister endlich das Atelier verlässt, um sich dann sofort die goldenen Kleider vom Leib zu reißen. Es bleibt alles ein bisschen geheimnisvoll. Kein Wunder, gab es Anfang des 20. Jahrhunderts weder Fernsehen noch Internet und auch keinen Frauenfußball. Außerdem hatte das Weib damals noch stillzuhalten, wenn dem Manne nach Küssen war. Der Mann von heute hingegen hat es schwer. Der Präsident des spanischen Fußballverbandes ist ein Beispiel dafür. Er konnte nicht anders, als den Kopf der Widerspenstigen mit beiden Handflächen an den Schläfen festhalten. Gegenseitige Zuneigung wie bei Klimt war in diesem Fall ja nicht zu erwarten. Die Dame erwartete sich ein Zeichen der Anerkennung ihres Präsidenten, aber bestimmt keinen „Schmatz“, wie ein Sportredakteur einer wichtigen Südtiroler Zeitung den unerwünschten Kuss bezeichnet hat. Gar nicht so falsch. Den Kuss sehe ich bei Klimt, aber Schmatz hat mit schmatzen zu tun. Wer beim Essen und – natürlich – beim Küssen schmatzt, verursacht laute Geräusche. Eine eher unappetitliche Geschichte. Vor allem, wenn ein Vorgesetzter glaubt, er könne sich alle Freiheiten erlauben. Das nur so nebenbei.
Die Fußballerin hätte mit dem Knie dorthin zielen können, wo es (bei Männern) am meisten wehtut? So gesehen hätten wir einen ebenso spektakulären wie abrupten Abschluss der Siegerehrung der Frauen-Fußball-WM erlebt. Er liegt mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden, sie schreitet stolz vom Podium, die Goldmedaille der Siegerin um den Hals. Gold! Wie schön. Ein Hauch von Klimt. Ansonsten kennen wir jetzt immerhin den Unterschied zwischen einem Kuss und einen Schmatz.