Die Zenoburg
Eine historische Stätte für die kulturelle Identitätsfindung der Gegenwart
Im Herbst 2023 von Eva Pföstl
Burgen und Schlösser prägen in besonderer Weise unser Land. Sie besitzen dabei eine Schlüsselfunktion zur Definition der Identität. Sie vereinen Motive des Schutzes und der Geborgenheit wie auch die der Feindseligkeit und Aggression, sie geben den Eindruck solider Felshaftigkeit und sprechen doch immer eine Geschichte des ständigen Wandels durch Zerstörung, Wiederaufbau, Umwidmung. Sie gehörten zu verschiedenen Reichen und Sprachwelten, obwohl sie auf der Stelle geblieben sind. So auch die Zenoburg, die „Meraner Akropolis“, wie sie einst von Carl von Braitenberg betitelt wurde. Sie war immer ein Ort der Begegnung mit anderen Menschen und Kulturen und dies, so erzählt uns Zeno von Braitenberg, der heutige Eigentümer der Burg, gibt uns Denkanstöße gerade aufgrund der Vielschichtigkeit ihrer Bedeutungszusammenhänge.
„Die Zenoburg hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, spiegelt Kontinuität und Wandel, Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit, Wirklichkeit und Traum wider. Für mich persönlich ist die Zenoburg ein wichtiger Ort meiner Kindheit, meiner Familie, ein Ort der Erinnerung, der Auseinandersetzung, der Suche, der Projektion – und gleichzeitig ein Ort, der selbst etwas ausstrahlt, etwas zu sagen hat und Prozesse des Reflektierens auslöst. Es ist ein Ort, der uns vor Augen hält, wie vielschichtig unsere Identitäten konstruiert sind, wie wandelbar Bedeutungszusammenhänge sind. Wie wichtig aber auch ein Felsenboden, ein Garten und eine Burganlage für die Verankerung von Bezugsentwicklungen sind. Und all dies hat etwas unglaublich Beruhigendes“, erzählt Zeno von Braitenberg. „Gerade für Südtirol, wo die Suche nach Identität immer eine wichtige Rolle gespielt hat, ist ein solcher Ort mit so einer wechselvollen Geschichte – die Zenoburg war bereits für die Räter ein Siedlungsgebiet, später für die Römer und im Mittelalter für die Grafen von Tirol – auch ein enorm tröstender Bezugspunkt für den kollektiven Identitätsfindungsprozess.“
Ein historisch und religiös bedeutender Ort
Historisch bedeutend ist die Zenoburg, denn arachäologische Grabungsfunde veranlassen zur Annahme einer wallburgischen Besiedelungsform bereits zur Bronzezeit und als die Römer bei ihrem Vormarsch ins Alpen- und Donauland auch hierher kamen, errichteten sie vermutlich das Castrum Majense als einen Hauptstützpunkt zur Verteidigung der durch Rätien führenden Straße. Mit dem Siegeszug des Christentums in der Spätantike entstand dort eine bedeutende Wallfahrtskapelle mit Doppel-Apsis, dem Kirchenpatron St. Zeno geweiht, als vielbesuchtes Pilgerheiligtum. Zwischen 470 und 474 wurden hier die Gebeine des Augsburger Bischofs Sankt Valentin und 725 auch jene des Freisinger Bischofs Sankt Korbinian (man erzählt sich die Legende des Korbinians, der beim Spielen beinahe von der Burg in die Schlucht gestürzt, aber wie durch ein Wunder gerettet werden konnte) beigesetzt. In diesen Jahrhunderten war dieses Heiligtum überaus bekannt und seine Bedeutung ging erst zurück, nachdem die sterblichen Hüllen des Hl. Valentin 756 nach Passau und die des Hl. Korbinian 768 nach Freising überführt wurden. Die religiöse Bedeutung dieses Ortes verfiel langsam und konnte auch nicht wiederhergestellt werden durch einen Ablass, der 1288 gegen Leistung eines Beitrages der Gläubigen zur Wiederherstellung des verfallenen Heiligtums gewährt wurde. Als die religiöse Bedeutung der Kapelle abnahm, verfiel das Gebäude zusehends.
Um 1237 wird urkundlich erwähnt, dass Ulrich Suppan als Lehensnehmer von gräflichen Gnaden die Verwaltung der Zenoburg innehatte. Gegen Ende des Jahrhunderts war es Graf Meinhard II., Gründungsvater des Landes Tirol, der die Burganlage zurückerwarb. Es folgte der Ausbau der Festung als fürstliche Wohnresidenz sowie die Erneuerung der doppelgeschossigen Burgkapelle. Als Schloss Tirol im Jahre 1301 einem Brand zum Opfer fiel, wurde der Sitz der Grafen von Tirol in die Zenoburg verlegt. Meinhard II. führt aber auch andere Arbeiten der Erneuerung und Erweiterung durch, so wurden an der Kapelle das interessante Rundbogenportal, der Tiroler Adler – es handelt sich um die älteste plastische Darstellung des Tiroler Adlers – der Lindenbaum, Wappen und andere Reliefs angebracht. Im Laufe der Jahre wurde die Zenoburg der Lieblingsaufenthaltsort der Grafen von Tirol – bis 1347 Karl von Böhmen im Krieg gegen Margarete von Tirol (genannt „Maultasch“) die Burg fast gänzlich zerstörte.
Margarete, Markgräfin von Brandenburg, Herzogin von Kärnten, Gräfin von Tirol, Enkelin von Meinhard II., hat mehrere Jugendjahre auf dem Hügeldomizil der Zenoburg verbracht. Die weibliche Erbfolge wurde ihr 1330 durch einen Vertrag ihres Vaters mit dem bayrischen Kaiser Ludwig gesichert, unter der Voraussetzung der kaiserlichen Zustimmung zu ihrer Heirat. So wurde Margarete als Kind noch im selben Jahr mit Johann Heinrich, dem Bruder des späteren Kaisers Karl IV. von Böhmen vermählt, der 1335 nach dem Tod Heinrichs die Regentschaft über Tirol übernahm. Am Allerheiligentag 1341 vertrieb die Tiroler Erbgräfin Margarete ihren ungeliebten Mann Johann von Luxemburg und heiratete Ludwig den Brandenburger von Bayern. Aus Rache dafür wurde ihr von Kaiser Karl IV. von Böhmen der Krieg erklärt und 1347 die Zenoburg sowie Teile der Stadt Meran gebrandmarkt. Nur der Kapellenbau auf der Südseite und der Bergfried nordseitig blieben verschont. In den folgenden Jahrhunderten verfiel die Zenoburg. „Eigentlich weiß heute niemand, wie die Zenoburg ursprünglich ausgeschaut hat. Ich vermute, so ähnlich wie Schloss Tirol, denn das Rundbogenportal mit seinen figürlichen Darstellungen (Bestiarien) und dem frühesten Relief des
Tiroler Adlers erinnert stark an das Palas- und Kapellenportal im Schloss Tirol“, erzählt der heutige Schlossherr. „Und überhaupt, beschäftigt man sich mit der Geschichte der Zenoburg, so trifft man auf wesentlich mehr Fragen als auf Antworten.“