Der Thurnerhof
Wo alte Tradition neu erwacht
Im Winter 2017 von Philipp Rossi
Der Duft nach frischem Brotteig erreicht uns, noch bevor wir die alte Selchkuchl betreten. Der Holzofen ist bereits seit zwei Tagen langsam aufgeheizt worden und kommt heute zum ersten Mal seit über sieben Jahrzehnten wieder zu Ehren. An einer Ecke im Raum steht bereits Meisterbäcker Reinhard Erb, der die ersten Teiglinge formt.
Wir befinden uns im Thurnerhof oberhalb von Schenna, einem traditionellen Bauernhof, der heute als Gasthaus bewirtschaftet wird. Der Hof ist im Besitz der Grafen von Meran und wird seit 1996 von Bernhard Tammerle und dessen Frau Myriam geführt.
Reinhard Erb von der gleichnamigen Meraner Bäckerei zeigt den Eheleuten Tammerle heute das Brotbacken. „Für die beiden Sorten, die wir heute backen, verwenden wir eine Mischung aus Dinkel- und Roggenmehl.“ Im Handumdrehen knetet der erfahrene Bäcker die Teigmasse zu Brötchen zusammen und formt fertige Laibe, die später in den Ofen kommen werden. Auf das alte Wissen kommt es an. „Dinkel ist die beste Getreidesorte für den menschlichen Körper“, weiß Meister Erb.
Dreißig Minuten lang müssen die fertigen Teiglinge ziehen, damit sie aufgehen. In der Zwischenzeit erklärt Myriam Atz Tammerle, die seit über zwanzig Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Bernhard das Gasthaus führt, die Geschichte des Hauses: „Erstmals erwähnt wurde der Thurnerhof im Jahre 1454, im Juli 1582 wurde Erzherzog Johann als Besitzer ins Grundbuch eingetragen.“ Noch heute hängt ein Porträt des Erzherzogs in der Gaststube. Seine Nachkommen, die Grafen von Meran, sind nach wie vor die Besitzer des Hofes. Im Jahre 1996 wurde der Bauernhof in ein Gasthaus umgewandelt.
Der geschichtliche Rückblick eignet sich auch für eine Hausführung. Myriam Atz Tammerle weist auf die Besonderheit des rohen Steinziegelbodens im Hausgang hin, der ungefähr so alt ist wie der Hof selbst. In einem Ziegel ist der Torschlüssel abgedrückt, „damit ihn der Besitzer, falls er das Original verlieren sollte, jederzeit nachgießen kann.“
Noch während der Führung ruft uns Bäckermeister Reinhard Erb zu sich: „Die Gehzeit ist um, die Brote sind schön aufgegangen. Wir können die Teiglinge in den Backofen ‘einschießen’. Die restlichen Glutnester werden zur Seite geschoben und mit der „Zussl“, einem nassen Tuch, werden Aschereste weggewischt. Ehe der erfahrene Bäcker die Brotlaibe einzeln mit der „Schaufel“ in den 250-Grad-heißen Ofen „einschießt“, drückt Frau Gräfin von Meran auf jedes von ihnen einen Brotstempel mit dem Symbol unseres Herren auf. Schließlich sollen die fertigen Brote nicht nur gut schmecken, sondern auch unsere Dankbarkeit bezeugen.
Wir nutzen die Gelegenheit, um Bäckermeister Reinhard Erb noch einige Kuriositäten über das Brot zu entlocken: „Vollkorn ist zwar eine äußerst gesunde Getreideart, man sollte jedoch nicht allzu viel davon zu sich nehmen, denn ansonsten muss man mit Darmbeschwerden rechnen.“ Das Apfelbaumholz, das wir heute verwenden, eigne sich besonders gut, um den Ofen zu heizen, zumal es kein Harz enthält und folglich nicht rußt. Der Backofen selbst besitzt zudem keinen eigenen Rauchabzug; der Rauch zieht durch die Selchkuchl über den Hauptkamin hinaus.
Die Brötchen müssen nun zwanzig Minuten lang im Ofen bleiben. Das Ehepaar Tammerle erklärt uns derweil seine Firmenphilosophie: „2015 haben wir uns dazu entschieden, das Wirtschaftsmodell der Gemeinwohlökonomie zu übernehmen. Es geht darum, die Herkunft der von uns verwendeten Produkte – von Fleisch und Gemüse bis hin zu den Verpackungen der Lebensmittel – genauestens nach strengen Kriterien zu überprüfen und regionale und saisonale Ware zu bevorzugen.“ Der Betrieb verwendet zum Beispiel Rindfleisch eines hiesigen Bauernhofes, geschlachtet und gelagert im städtischen Schlachthof.