Das erste Meraner Kaffeehaus
„Café Paris“
Im Winter 2022 von Dr. Elfriede Zöggeler-Gabrieli
In den Lebenserinnerungen des Rudolph Hengstenberg, der einige Zeit in Meran gelebt hat, wird – neben weiteren Gasthöfen und Cafés – das „Café Paris“ des Carl Holzeisen erwähnt, das seinen Name nicht der französischen Seinestadt verdankt, sondern der Familienname eines Vorbesitzers war. Hengstenberg nennt es das Hauptstelldichein der Fremden, der Geschäftsleute und „Merangigerl“. Neugierig geworden, begannen die
Recherchen zu einem Gastronomiebetrieb, der wohl nur mehr wenigen in Erinnerung sein dürfte. Für die wertvollen Hinweise, die in diesem
Zusammenhang geliefert wurden, wird Martin Laimer (Lana), Markus Gamper (Meraner Stadtarchiv), Karin Maringgele (Touriseum) sowie Georg Hörwarter (Meran) herzlichst gedankt.
Hausgeschichte
Wenn auch das Steinachviertel als ältester Stadtteil Merans gilt, das pulsierende Leben der Bevölkerung spielte sich vor allem in den Laubengassen und -häusern ab.
In einem dieser bergseitigen oberen Laubenhäuser, in welchem sich heute im Erdgeschoss das Ledergeschäft „Gobbi“ befindet, wurde um 1800 eines der ersten Meraner Kaffeehäuser errichtet: das „Café Paris“.
Das Gebäude, das in der Meraner Katastermappe aus dem Jahre 1858 mit der Nr. 28 aufscheint und bis ins 20. Jahrhundert hinein die Hausnummer 70 trug, war ursprünglich ein geteiltes Haus. Den vorderen Teil besaß im späten Mittelalter ein Burkard, der hintere Teil gehörte den Schütz-Erben. 1551 erwarben die Herren von Wanga beide Teile, verkauften sie jedoch bereits 1578 an Jenet. 1615 kam das Laubenhaus an die Meraner Bürgersfamilien Spieß und Nagel, weshalb man es auch das „Spießnagel‘sche Haus“ nannte. Ihnen folgten die Meitinger zu Engelsheim. Als Dominik von Meitinger zu Engelsheim und St. Valentin (1773 ˗ 1824) und seine Gattin Maria Barbara Kunigunde von Feyertag de Festis Ende des 18. Jahrhunderts in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, sahen sie sich gezwungen, das Gebäude zu veräußern.
Daraufhin kam es 1786 in den Besitz von Josef Paris, welcher sich als erster Kaffeesieder Merans rühmte. Nach einer aufwändigen Renovierung eröffnete er 1804 einen Kaffeeschank namens „Café Paris“. Übrigens ist im Treppenhaus des Laubengebäudes Nr. 132 heute noch an der Nordseite und unterhalb eines Dachbalkens die Inschrift J. PARIS RENOVIERT 180? zu sehen, wobei das „S“ verkehrt wiedergegeben und die letzte Zahl nicht mehr zu erkennen ist. Auch der Stiegenhausaufgang, Stukkaturarbeiten an Zimmerdecken sowie ein Wandschrank erinnern an vergangene Zeiten. Aber kehren wir zu 1804 zurück, denn schon einige Jahre später wurde die Stadt von den Kriegswirren, die durch die bayrische Landnahme entstanden, heimgesucht und auch das stürmische Jahr 1809 hatte dem Gastbetrieb keine gute Zeit beschert. Als Josef Paris 1814 starb, erbten Witwe und Kinder vor allem Schulden. Trotzdem gelang es seiner Gattin, den Betrieb bis zur Übernahme ihres Sohnes Johann im Jahre 1827 weiterzuführen. Er wirkte dort weitere 50 Jahre als erfolgreicher Wirt.
Unter seiner Führung gelang ein großer Aufschwung und in den Jahren von 1830 bis 1870 traf sich dort wer Rang und Namen hatte. Rückwärts, gegen den Küchelberg hin ließ er aus einem ehemaligen Kräutergarten ein Gartenidyll entstehen und zudem wurde die einstige Futterbehausung umgestaltet und im ersten Stock ein großer Saal eingerichtet. Eine geräumige Gaststube sowie ein Extrazimmer standen nicht nur an Sonntagen den Kirchgängern nach der Messe zur Verfügung.
In seinen letzten Lebensjahren hatte Johann Paris sein Kaffeehaus an Karl Holzeisen verpachtet, der es 1877 auch kaufte. Er vermietete Zimmer und konnte unter seinen Hausgästen beispielsweise 1881 Gustav Kotzte, Eisenbahn-Betriebs-Controleur aus Berlin, 1882 Wilhelm Göbl, k. k. Oberbergverwalter aus Wien oder Bauer C. F. aus New York begrüßen. Noch im selben Jahr verkaufte Holzeisen das Haus an Josef Haupt. Da das Café Paris den Glanz der Vergangenheit nicht mehr bieten konnte und auch der bauliche Zustand, die räumlichen Verhältnisse, die mehrere Jahrhunderte unverändert geblieben waren, sowie die Anforderungen der Zeit ihren Tribut gefordert hatten, nahm Haupt einen Umbau am Haus vor, indem er unter anderem den großen Saal von Grund auf erneuerte. Von 1889 bis 1892 waren die Geschwister Josef und Maria Rungg Eigentümer des Gastbetriebes, bevor er auf Georg Kristanell überging. Letzterer nahm weitere bauliche Veränderungen vor, so die Hinzufügung eines neuen kleinen Saales. Mit dem Kaufvertrag vom 17. April 1901 übernahmen drei Meraner Institutionen und 21 Privatiers als Konsortium Café Paris GmbH das Haus, und zwar die Urban Pitsch‘sche Stiftung in Obermais, der katholische Gesellenverein und katholische Arbeiterverein von Meran sowie Josef Marchetti, Josef Hölzl, Alois Ladurner, Anton Laner, Jakob Öttl, Josef Platzer, Josef Prantl, Ingenuin Prinoth, Bernhard Walder, Franz Dorfmann, Hans Hilpold, Alois und Karl Huber, Heinrich Ortner, Josef Peschl, Josef Schreyögg, Alois Walsch, Karl Wenter, Johann Zitt sowie Georg und Josef Kristanell, denen sich in den 20er- und 30er-Jahren weitere anschlossen, wie Anton und Benedetto Pobitzer, Rudolf Mali und andere. Ab 1960 erwarb auch die Familie Gobbi Anteile dieses Gebäudes.
Das Kaffeehaus wurde Ende des 19. Jahrhunderts von den Geschäftsführern Kapra und Libardi geleitet, bevor es von 1901 bis 1918 mittels eines Pachtvertrages von Karl Gmeiner übernommen wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg werden eine Witwe Kuprian als Pächterin und ab 1924 Josef Pircher als Pächter genannt.
„Café Paris“ nach Rudolf Malis Beschreibungen
Zu Beginn verfügte das Kaffeehaus über eine große Stube und ein schmales Extrazimmer sowie über einen beschaulichen Gastgarten, der sich rückwärts gegen den Küchelberg hin erstreckte. Den ersten Stock einer ehemaligen Futterbehausung verwandelte Josef Paris bald darauf in einen großen Saal, der für gesellige Zwecke verwendet wurde.
Um den Erfordernissen der Zeit zu entsprechen, entschloss sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts Josef Haupt, die bereits erwähnte Umgestaltung des großen Saales durchzuführen. Unter Georg Kristanell wurden weitere bauliche Veränderungen am Gebäude vorgenommen, beispielsweise fügte er dem bestehenden großen Saal noch einen neuen kleinen hinzu. Laubenseitig, im 1. Stock, lag das geräumige Gastzimmer bzw. die große Stube, aus dem die Gäste das geschäftige Treiben in der Laubengasse verfolgen konnten. Hinter einem wuchtigen Schanktisch stand die Kaffeemaschine, dahinter hohe, rot getönte Schränke. Hinter diesen Schränken befand sich das Extrazimmer, ein Zimmer mit graublauem Getäfel, das früher als „Salon“ und gegen Ende des 19. Jh. als Frühstücks- oder Speisezimmer diente. Besonders beliebt war der Raum mit dem Erkerwinkel, ehemals das Kasino und zu Rudolf Malis Zeiten das Klubzimmer genannt. Es war getäfelt und an den Wänden waren zierliche Arabesken angebracht. Die Galerie oder das Schwalbennest musste bei den Umbauarbeiten im großen Saal weichen, dennoch wurden bei Festlichkeiten schwere Früchtekränze an das Gesims gehängt. Zum Garten hinaus befand sich noch eine Kegelbahn, die oft und gerne genutzt wurde, bevor die Gesellschaft in das getäfelte Bürgerstübl zu einem „Karterl“ wechselte. Mali rühmt es als das Schmuckkästchen im Café Paris, da sich dort jeder wohlfühlte. Weil es dort eingerichtet wurde, wo früher die Küche stand, meint er: … als gäben die Wände heute jene Wärme zurück, die ein halbes Jahrhundert ihnen zugestrahlt. Zu guter Letzt weist er auf das gleichsam gemütliche Zimmer hin, das ehemalige Studentenzimmer, in welchem sich seinerzeit Bürger samt Angehörigen und Bekannten zur großen Wochenparade versammelten.
Ein Stelldichein für Jung und Alt
Wurde im Café Paris zu traditionellen Bällen geladen, wie beispielsweise zum „Nobelball“ oder „Bürgerball“, dann mussten zuvor Kron- und Wandleuchter sowie Spiegel auf Hochglanz gebracht und Türen und Wände mit Taxgewinden [das sind Girlanden aus Eibenzweigen] und buntschillernden Papierstreifen geziert werden. Eine Besonderheit bildeten die „Schürzlbälle“, die vom bayrischen Schriftsteller Joseph Friedrich Lentner (*1814 München ˗ †1852 Schloss Lebenberg/Tscherms) ins Leben gerufen wurden. Während die Frauen mit Schürzen daran teilnahmen, war für die Herren das Tragen von Handschuhen verboten. Neben den Bällen fanden Konzerte, Liedertafeln, Theater, Vorträge und Familienabende statt. In seinen Sälen trafen sich der Arbeiter- und der Jagdverein, der Bürgerklub und die Bürgerkapelle, die Stehwein- und andere Stammtischgesellschaften.
Geschichten und Anekdoten
Damenwahl
Beim traditionellen Bürgerball kamen viele Gäste auch aus der umliegenden Gegend. Bürgermeister Valentin Haller hielt die Begrüßungsrede, bevor die Ballbesucher in den Saal geleitet wurden. Die Damen waren in schlichten Hausgewändern gekleidet, doch durfte ein Kopfschmuck nicht fehlen. Den schönsten Kopfschmuck führte traditionell Frau Verdroß, eine geborene Gräfin Giovanelli, vor.
Bei den Herren stachen vor allem weit ausladende Stehkragen und eine große Uhrenkette hervor und bis in die 1830er-Jahre erschienen Ratsbürger mit Zopf und Dreispitz. Eine meist dreiköpfige Musikgruppe bot mit ihren Geigen und mit Gitarre Tänze wie Redowac, Galopp oder Dreischritt. An einem Abend waren mehrere Damen im Nebenzimmer versammelt, weshalb es im großen Saal an Tänzerinnen mangelte. Ein Ballkomiteemitglied wurde aufgefordert, die Damen zum Tanz einzuladen und so begab er sich an die Zimmertür und schrie hinein: „Gehts außer, Weiberleut, wenns tanzen wöllts!“
Der ungeduldige Kutscher
Frau von Rochow aus Berlin vergnügte sich köstlich mit ihren Töchtern auf einem Ball im Café Paris und vergaß dabei, dass die Kutsche zur Heimfahrt schon länger in der Laubengasse bereitstand. Der Kutscher war des Wartens müde, weshalb er mit Peitsche und Pfeife in den Ballsaal stürmte und seinem Ärger Luft machte. Man versuchte ihn zu beruhigen, indem darauf verwiesen wurde, dass die Exzellenz vom Tanzen noch etwas erhitzt sei und sich vor dem Nachhausegehen noch etwas abkühlen müsse. Da schrie er „Ach, was Xallenzie hin, Xallenzie her, ös kennts mi alle gern hab‘n miteinander!“
Aufnahme in die Stehwein-Gesellschaft
Am 29. Januar 1847 richtete Dr. Eisele, Hofmeister des Baron Beisele, aus Bozen ein Schreiben an Johann Paris und bat darin um Aufnahme für sich und seinen Zögling in die Stehwein-Gesellschaft. Er schreibt, dass er im Bozner Wochenblatt gelesen habe, dass die Stehwein-Gesellschaft am 31. Jänner einen Ball mit Maskenumzug geben werde und meint: Da mein geistreicher Zögling, Herr Baron von Beisele, dem ich die Wissenschaft mittels des Lackels- und Nürnberger Trichters beigebracht habe, eine außerordentliche Passion für dergleichen Mummereien hat, so habe ich mich entschlossen, mit ihm dahin zu reisen, und Merans klassischen Boden, dieses hochgepriesene deutsche Nizza, persönlich zu besichtigen und zu grüßen … Ich und mein Zögling Beisele brennen vor Verlangen, in diesem geisterhellen Club [die Stehwein-Gesellschaft] aufgenommen zu werden, und wir sind felsenfest überzeugt, daß nach einigen Lectionen wir ebenso kannibalisch ein paar Halbe Küchelberger stehenden Fußes durch die Gurgel jagen werden, trotz dem besten ausgerichteten Mitgliede.