Der Fundus des Meraner Stadttheaters
Im Winter 2023 von Veronika Rieder
„Ich wollte schon immer Schneiderin werden, mit Stoffen arbeiten, das war mein Wunschberuf.“ Nach der Matura verschlug es Sabine Hillebrand allerdings in eine andere Richtung, aber sie ließ ihr Ziel nicht aus den Augen. Deswegen absolvierte sie zusätzlich eine Ausbildung zur Schneiderin. Als eine Stelle zur Betreuung des Theaterfundus ausgeschrieben wurde, bewarb sie sich. Seit 11 Jahren lebt sie nun ihre Leidenschaft, die Stoffe und Kleider. Wer glaubt, das sei eine langweilige oder gar verstaubte Beschäftigung, irrt. Gerne lasse ich mich in die Vielfalt einführen und mir die Schätze zeigen, die Sabine Hillebrand betreut.
Der Kostüm-Schatz
Er umfasst etwa 800 historische Theaterkostüme von 1900 bis Anfang der 20er-Jahre. Schon vor der Einweihung des neuen Meraner Stadttheaters am 01.12.1900 (Baubeginn 01.09.1899!!) war die Stelle eines Theaterdirektors ausgeschrieben worden; heute würde man Intendant sagen. Die Kurstadt Meran war europaweit bekannt, und hier einen Theaterbetrieb in einem völlig neuen Haus aufzubauen, reizte offenbar viele. Aus 124 Bewerbungen ging Karl von Maixdorff, Leiter der berühmten Meininger Bühne, als Sieger hervor. Er wollte die Illusionen auf der Bühne durch echte Kostüme verstärken. Daher verlangte er „historische“ Bekleidung, d.h. nach der Mode der Zeit, in der das jeweilige Stück spielte, also ca 1450 bis 1900. Von Maixdorff ließ Originalkostüme aus Meiningen nachschneidern, aber natürlich viele neue nähen. Darstellung, Inszenierung, Bühnenbild, Maske und Kostüm mussten zusammenpassen. Um sich auf dem Laufenden zu halten, gab es Sammlungen von Bilddrucken, Zeitungsausschnitten und Ansichtskarten. Immerhin wollte man als berühmter Kurort auch in der Unterhaltung nicht nachstehen, sondern dem erlesenen Publikum Qualität bieten. Für die Kostüme hieß das, dass kostbare Naturmaterialien verwendet wurden. Hinter jedem Vorhang, den Sabine Hillebrand zurückzieht, erblicke ich schimmernde Seide, weichen Samt, schweren Brokat. Die farbenprächtigen Kostüme sind zudem mit meist echtem Pelz, Spitzen, Bordüren oder Federn verziert – und das, obwohl es zu 90 % Männerkleidung ist. In den meisten Theaterstücken, Opern und Operetten, die damals aufgeführt wurden, gab es offenbar mehr und vielfältigere Rollen für Männer als für Frauen. Zudem fällt mir wieder einmal auf, um wie viel aufwändiger, bunter und meiner Meinung nach eigentlich weiblicher die Männermode früher war, vor allem die des Adels. Einfache Leute trugen Grau, Braun, Schwarz; es gab auch Kleidervorschriften, wer was und in welchen Farben tragen durfte. Die heute in der Männerkleidung meist dominierenden dunklen und gedeckten Farben hielten mit dem Aufstieg des Bürgertums ab dem 19. Jh. Einzug in die Männermode. Dagegen wurde ab der 2. Hälfte des 20. Jhs. die Frauenmode zunehmend männlicher.
Neue Ausstattungsstücke für das Theater und neue Kostüme waren damals der „Meraner Zeitung“ eigene Meldungen wert. Sie sah aber auch in der luxuriösen Ausstattung, welche Herr von Maixdorff verlangte, einen Grund für die schiefe finanzielle Lage seiner Direktionszeit.
Sabine Hillebrand lüftet den nächsten Vorhang: Auf vier Überkleidern prangt in farbiger Stickerei groß das Meraner Stadtwappen. Da hatten sicher vier Herolde ihren feierlichen Auftritt! Zwischen den kostbaren Gewändern hängen einige Kostüme aus Papierstoff, wahrscheinlich aus dem Jahr 1915. Damals musste man bereits anfangen zu sparen, und daher wurden sie auch nur bedruckt. Das entdecke ich aber erst bei genauem Hinschauen, im Publikum dürfte es kaum jemand bemerkt haben. Vielleicht wäre das auch eine Idee für heute?
Über die Mode früherer Zeiten und über die Nähtechniken muss Sabine Hillebrand natürlich bestens Bescheid wissen, um die Kostüme fachgerecht pflegen zu können. Dabei hilft ihr die Erfahrung; zudem hat sie im Laufe der Jahre eine etwa 100 Bände umfassende Kostümbibliothek angelegt. Leider nagt der Zahn der Zeit an den Stoffen, besonders Seide wird mit dem Alter brüchig. Die unsachgemäße Lagerung während der Umbauarbeiten 1971 bis 1978 hat ebenfalls manchen Schaden verursacht. Da helfen manchmal auch Sabine Hillebrands Nähkünste nichts mehr; das Kostüm müsste restauriert werden, aber das ist aufwändig und teuer.
Während ich auf einem Arbeitstisch ein Korsettgestell betrachte, zieht Sabine Hillebrand aus einer Stofftasche zwei „Poschen“ heraus und legt sie sich fachmännisch an die Hüften. In meine Belustigung mischt sich Nachdenklichkeit: Was für teils umständliche und einschränkende Lächerlichkeiten haben sich Frauen „angetan“, nur um der Mode zu folgen! Das Frauenmuseum bietet mit seinem Rundgang zur weiblichen Mode hierfür weitere anschauliche Beispiele.
Wer braucht ein Kostüm aus dem Fundus?
Das Schicksal des Theaters nach 1918 war wechselhaft, es gab vor allem später kein Ensemble mehr. Die Schauspielgruppen, die für Gastspiele nach Meran kamen und kommen, brachten und bringen ihre Kostüme selbst mit. Kleider aus dem Fundus benötigen sie nicht, außer es fehlt ein Ersatzteil. Ab und zu ist eine kleine Reparatur nötig, die Sabine Hillebrand rasch vornimmt.
Der „neue“ Bestand, meist einfache Kleidung auch aus synthetischen Stoffen, kann verliehen werden. Früher kamen viele Mitglieder von Laien- und Schülerbühnen, die Theaterkostüme brauchten. Inzwischen haben die meisten Gruppen schon selbst einen kleinen Fundus aufgebaut. Dagegen leihen immer wieder Privatpersonen Kostüme aus, z. B. für den Fasching, ein Fest zu einem bestimmten Thema, eine Tanzveranstaltung oder eine Musikgruppe möchte eine besondere Kleidung für einen bestimmten Auftritt. In der Weihnachtszeit sind Engel- und Nikolauskostüme gefragt oder Laiengruppen brauchen Kostüme für eine lebende Krippe.