„Der Tragwaal, der über die Lazag geht“
Der obere Untermaiser Mühlwaal
Im Sommer 2016 von Dr. Walter Egger
Seit Jahrhunderten werden die landwirtschaftlichen Güter von Untermais und Hagen mit dem Wasser aus zwei Mühlwaalen bewässert, die auf unterschiedlicher Höhe das Gelände von Mais queren. Beide, der obere wie der untere, werden von der Passer abgeleitet.
Da der obere Mühlwaal das Wasser von der weit entfernten Einkehr an der Passer über die Lazag bis zu den Verteilerstellen trägt, wird er in alten Urkunden als Tragwaal bezeichnet. Das eigentliche Bewässerungsgebiet begann einst bei der Georgenkirche.
Schon der Name „Mühlwaal“ oder „Mühlbach“ macht deutlich, dass beide Waale nicht nur der Bewässerung, sondern auch gewerblichen Zwecken dienten. Mit der Wasserkraft des oberen Waales wurden – soweit heute bekannt – zehn Mühlen und ein Sägewerk angetrieben.
Im Vergleich zu anderen Waalen im Burggrafenamt und Vinschgau bot der Bau dieses Tragwaales kaum größere Schwierigkeiten. Es mussten keine steilen Felswände oder Bergflanken gequert, Galerien gebohrt oder in schwindeliger Höhe Holzkandl angelegt werden, denn bis auf ein kurzes Teilstück am Lazagsteig fließt der Mühlbach durch die fruchtbaren Fluren des vom Naifbach geformten, sanft abfallenden Schuttkegels, der den Bau erleichtert und somit begünstigt hat. Die Einkehr befindet sich etwa auf 380 m Meereshöhe, die Mündung auf rund 280 m, was einem Gefälle von insgesamt nur 100 Metern entspricht. Die Länge misst rund sechs Kilometer.
Leistung
Mit seinen 700 Sekundenlitern ist der obere Mühlwaal einer der wasserreichsten Waale des Burggrafenamtes. Vergleichsweise führt er fast zehnmal so viel Wasser wie der etwas höher gelegene Obermaiser Waal mit seinen 75-80 Litern pro Sekunde. Aus dem Mühlwaal beziehen heute 96 Landwirte (= Genossenschaftsmitglieder) und mehr als 200 private Abnehmer das Wasser, erstere zur Beregnung ihrer Obst- und Weingüter, letztere zur Bewässerung von Gärten und Parkanlagen.
Road und Furch
Die Wasserstunden der Interessenten folgen einer genau bestimmten Reihe, der sogenannten Rod, mundartlich „Road“. Diese berechtigt die Grundbesitzer, eine „Furch“ Wasser für eine bestimmte „Weile“ aus dem Waal zu beziehen. Soweit urkundlich bekannt und Verteilungspläne vorhanden sind, wurde das Wasser des oberen Mühlbach stets in acht Roden bzw. in acht Furch geteilt. Für die Bauern in der Lazag und auf Schenner Gemeindegebiet hinter dem Lochbauer galten Sonderregelungen. Eine Furch Wasser entsprach beim oberen Mühlwaal ungefähr 100 Sekundenlitern.
Einkehr
Der Waal wird beim Grannersteg bei Kuens/Riffian zusammen mit dem Wasser für die Landesfischzucht von der Passer eingekehrt. Nach etwa 100 Metern verhindert ein Rechen, dass störendes Treib- und Schwemmgut, vorwiegend Holz und Laub, weitertransportiert werden. Ein automatischer Rechenreiniger befördert das aufgefangene Material über den Rechen aus dem Wasserkanal.
Waalverlauf
Der Mühlbach zieht zunächst am Grenzzaun der Landesfischzucht entlang, umrundet die Rotaler Nase und fließt dann gemächlich unterhalb der Anwesen Lahngut, Ofenbauer, Lochbauer und Malpertaus vorbei bis zur Vergilstraße. Hier begleitet er den Lazagsteig bis zur Einmündung in die Passeirerstraße, wo er unterirdisch in Richtung Villa Johannes und Hotel Palma abbiegt. Nach dem Hotel Bavaria rauscht das Wasser unsichtbar unter der ehemaligen Georgenmühle und unter dem Pausenhof der Georgenschule hindurch, um nach Schloss Winkel den Maiser Park am Winkelweg zu erreichen. Bald darauf folgt der Waal dem nach ihm benannten Waalweg bis zur Mayr-Nusser-Straße, der Grenze von Hagen, einem geschichtsträchtigen Ortsteil von Mais. Er setzt seinen Lauf nun Richtung Gärtnerei Reichert fort, folgt dem Finkweg bis zum Finkhof und durchschneidet anschließend die Obstanlagen des Schöberle-, Weiher-, Burger- und Mairhofs in Hagen. Beim „Wiesenheim“ unterquert er den Naifbach, gelangt zu den Gütern des Pergerhofs und mündet letztlich orografisch links in den Naifbach.
Um bei Hochwasser oder Gewittern den Waal rasch abkehren zu können, gibt es drei Auslässe: Der erste befindet sich bei der Rotaler Nase und dient zugleich zur Regulierung der Wassermenge; der zweite beim Eschgfäller hinter Malpertaus schickt das Waalwasser über das – einst leicht schwefelhaltige - Stinkbachl notfalls wieder der Passer zu; der dritte Auslass bei der Mazeggerwiere am Lazagsteig lässt den Mühlbach steil in die Gilf abstürzen.
Der obere Mühlwaal – Grenze zwischen Ober- und Untermais
Auf der Strecke von Schloss Winkel bis zur heutigen Mayr-Nusser-Straße bildete der obere Mühlwaal die Grenze zwischen den einst selbstständigen Gemeinden Obermais und Untermais. Man kann annehmen, dass diese „natürliche“ Grenzlinie Jahrhunderte alt ist. Der Waal, dessen Bauzeit mangels Urkunden im Dunkeln liegt, wird 1295 erstmals erwähnt. Doch schon 200 Jahre früher stoßen wir auf die Unterscheidung von Ober- und Untermais. Bemerkenswert ist, dass die ersten Wasserbezugsrechte in Zusammenhang mit der Bewässerung von Weingärten belegt sind. Matthias Ladurner-Parthanes schrieb, dass die Bewässerung der Reben vermutlich so alt sei wie die Kultur der Rebe selbst. Damit wäre der Mühlwaal weit über tausend Jahre alt. „Ohne Wasser keine Weimer“, sagen die Bauern im trockenen Vinschgau.
Der Waalsteig
Waalwege kennen wir heute als bequeme und beliebte Wanderwege. Ursprünglich dienten sie dem Waaler für die Beaufsichtigung und Reinigung des Waales und den Interessenten für die Ein- und Abkehr ihres Wasser-Wassers. Bei den allgemeinen Instandsetzungsarbeiten im Frühjahr wurde das sandige Material, das sich im Laufe der Monate abgelagert hatte, auf den Steig geschöpft und für die Verstärkung des talseitigen Dammes verwendet.
Der Waalsteig entlang des oberen Mühlbaches war noch vor 60 Jahren durch keine Zäune gesichert und kaum beleuchtet, so waren Unfälle nicht selten, darunter auch tödliche. Doch niemand stellte damals die heute allgegenwärtige Frage nach der Haftung: Jeder war für sich selbst verantwortlich.
Heute ist der Waalsteig entlang des Mühlwaales nur mehr in Teilstücken allgemein begehbar. Es sind dies der Wanderweg entlang der Landesfischzucht, der Lazagsteig zwischen Vergilstraße und Passeirerstraße, der Gehsteig entlang des Maiser Parks sowie der Waalweg unterhalb des Winkelweges. Der Durchgang durch Hofräume und Obstgüter ist in der Regel nur mehr dem Waaler und den Interessenten gestattet.
Alte Gemeindeordnung
Im ältesten noch erhaltenen „Dorfpuech“ von Niedermais, Hagenach und Freiberg, das auf die Zeit um 1600 zurückgeht, werden die Pflichten des Dorfmeisters, d. h. des Gemeindevorstehers, ausführlich neu geregelt, darunter auch Aufgaben in Zusammenhang mit dem oberen Mühlwaal. So soll der Dorfmeister zum Sankt-Gertrauds-Tag, 17. März, oder drei Tage zuvor oder nachher den Tragwaal über die Lazag „machen“ lassen. Die ganze Gemeinschaft, die den Tragwaal nutzt, hat mitzuhelfen. Jeder soll „gutes Volk“ schicken, nicht kleine Buben, und zwar zu rechter Zeit, wenn man die große Glocke läutet. Wer da nicht kommt, wird mit einem Pfund Berner (=12 Kreuzer) bestraft. Zum Vergleich: Ein Taglöhner verdiente ca. 16 Kreuzer pro Tag.