Jedermann hört Gloria
Im Sommer 2022 von Robert Asam
Es ist nun schon etliche Jahre her, da war es ganz still im Pavillon des Fleurs. Die Finalisten des Meraner Lyrikpreises lasen einem aufmerksam lauschenden Publikum ihre Texte vor, als sich plötzlich ungewohnte Töne in die lyrische Atmosphäre mischten. „Felicitá“ plärrten Al Bano und Romina Power draußen auf der Kurpromenade. Das Traumpaar der canzone italiana, das schon damals keines mehr war, war jedoch gar nicht anwesend. Es war eine Tonprobe vom Band. Eine Fernsehproduktion wurde vorbereitet, und woher hätte der Tonmeister wissen sollen, dass leise Dichtkunst nicht unbedingt eine musikalische Untermalung benötigt. Es hatte ihm halt niemand Bescheid gesagt. Wer damals Ohrenzeuge dieses akustischen Ereignisses war und kürzlich in Dorf Tirol der Jedermann-Premiere beiwohnte, dürfte ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben.
Natürlich war der Jedermann nicht so leise, wie damals die Meister der Lyrik, aber auch das Spiel vom Sterben des reichen Mannes hat seine leisen Momente. Und so kam es, dass Jedermann nicht mehr wusste, ob die Buhlschaft tatsächlich auf den Namen Gloria hört und das „Ti amo“ ihm galt oder dem Teufel oder gar dem Tod. Was für eine extravagante Kombination! Hier Schloss Tirol, dort der Algunder Festplatz, hier Hofmannsthal, dort Tozzi, Hugo und Umberto, oben aufmerksame Ruhe, unten im Tal eine tobende Menge, ein Klassiker der Bühnenliteratur, untermalt von seichtem Tralala. Ein zweisprachiges Kulturereignis! Südtirol wie es leibt und lebt.
Natürlich war auch diesmal keine Absicht im Spiel. Wer in Algund denkt schon an Dorf Tirol. Die Poeten sind damals in Rudi Ladurners Kellertheater geflüchtet, der Jedermann aber hatte keine Chance, sich der ungewollten Beschallung zu entziehen. Vielleicht war er diesmal sogar froh, dass sein Ende nahte. So gesehen müssen wir uns einmal mehr eingestehen, dass der Tod auch eine Erlösung sein kann.