Der Oberniederhof im Schnalstal
Im Frühling 2021 von Eva Pföstl
„Stolz und Bürde“ – so fassen Petra und Johann Tappeiner ihr Leben auf dem Schnalser Bergbauernhof „Oberniederhof“ zusammen. Da ist sowohl der Stolz, einen denkmalgeschützten Bergbauernhof mit einer mehr als 700-jährigen Geschichte zu besitzen, als auch die Bürde, der Verantwortung gerecht zu werden, den Fortbestand des Hofes zu bewahren – und in eine neue Zeit zu führen.
Mit seiner über 700-jährigen Geschichte gehört der Oberniederhof zu den ältesten Höfen im Schnalstal. 1290 wurde der Hof erstmals urkundlich erwähnt, und weil er auch Gerichtsstätte war, sind bis heute alle Dokumente lückenlos vorhanden. Diese hat Werner Tscholl, einer der bedeutendsten Architekten Südtirols, für seine Diplomarbeit analysiert und ausgewertet. Kern des Oberniederhofs ist ein freistehender quadratischer Mauerkörper, eine Art Turm, um den herum im Laufe der Jahrhunderte an- und zugebaut wurde, sodass sich heute im alten Haus des Hofensembles 20 Zimmer, drei Gewölbeküchen und drei Zirbenholzstuben befinden. Zu den architektonischen Besonderheiten zählt nicht nur der über 500 Jahre alte und 19 Meter lange Scheunenbalken aus einem Stück, sondern auch die originale Holztreppe im alten Haus sowie das gotische Gerichtsfenster. Im Niederhof, wie er im Mittelalter hieß, befand sich eine Stätte der niederen Gerichtsbarkeit - der Gutsverwalter war dementsprechend sowohl Bergbauer als auch Richter .
Bio-Pioniere
Johann Tappeiner, genannt Johnny, wollte eigentlich nicht Bauer werden, verinnerlichte jedoch die Bürde der Tradition und übernahm 1991 zusammen mit seiner Frau Petra den Bergbauernhof, den sein Vater Josef bereits 1967 übernommen hatte. Petra, eine quirlige Berlinerin, hatte es anfangs als neue Bäuerin auf dem Hof nicht einfach, denn sie stellte die Art und Weise, wie die Landwirtschaft auf dem Hof betrieben wurde, in Frage und sagte dies auch laut und deutlich. Ein Kulturschock für die Schnalser! „Wir Berliner sagen halt einfach, was wir denken. Die Südtiroler sind da nicht so offen“, erzählt sie. Aber Johnny hörte die Kritik seiner Frau und nahm sie ernst. Der Hof wurde sukzessive auf Biolandwirtschaft umgestellt und das zu einem Zeitpunkt, als der Großteil der Bauern der Bioproduktion noch mehr als skeptisch gegenüberstand. Als einer der ersten Bio-Pioniere hatte Johnny unter den traditionellen Bauern einen schweren Stand, fand aber auch nach und nach immer mehr Bewunderer und Nachahmer.
Alte Rassen und muttergebundene Aufzucht
Der Oberniederhof ist nicht nur biozertifiziert, sondern auch ein anerkannter Arche-Hof, das heißt, dass ein großer Teil der Arbeit in die Zucht und Haltung seltener Nutztierrassen gesteckt wird. „Das Tiroler Grauvieh gehört hierher, ist aber mittlerweile immer seltener geworden. Das wollten wir ändern“, erzählt Johnny. „Früher standen die Rinder angebunden an ihren Plätzen im Stall. Das war normal. Aber das muss heute nicht so sein. Unsere Tiere haben jetzt einen großen Laufstall, wenn sie nicht wie im Sommer auf den Wiesen sind. So können sie auch ihre Hörner behalten. Auch das ist mir besonders wichtig, denn die Hörner sind für das soziale Verhalten in der Herde und für die Gesundheit der Kühe sehr wichtig– will ich wissen, wie es meiner Kuh geht, fasse ich sie an den Hörnern an!“
Neben dem Tiroler Grauvieh mit Hörnern gibt es weitere alte authentische Tierrassen wie das Schwäbisch-Hällische Landschwein, das Vorwerk- oder das deutschen Sperber Huhn – alte Hühnerrassen, die noch wüssten, so Petra schmunzelnd, wie das Brüten im Freien geht. Auch die muttergebundene Aufzucht der Kälber ist zu einem wichtigen Bestandteil der Philosophie des Hofes geworden. Sie bietet die Möglichkeit, die Kälber länger bei ihren Müttern zu lassen und die Kühe trotzdem zu melken. Diese Haltungsform wirkt sich sehr positiv auf die Gesundheit der Kälber und auch der Milchkühe aus. Um mit dieser Aufzuchtform erfolgreich zu sein, braucht es gute Kenntnisse des natürlichen Verhaltens der Kühe und der Kälber und eine intensive Mensch-Tier-Beziehung. „Wir haben eine Verantwortung und müssen auf die Tiere schauen“, betont Johnny. Deswegen werden auch Kälbertransporte vermieden. „Nur wenn die Tiere glücklich leben, wird ihr Fleisch und ihre Milch höchsten Qualitätsansprüchen gerecht“, unterstreicht er. Und dies ist der Anspruch der Tappeiners: höchste Qualität dank artgerechter Haltung. Fleisch- und Milchprodukte werden im eigenen Hofladen verkauft und die nähere Umgebung wird auch persönlich von Johnny beliefert. Wenn man sich die Zeit nimmt, erhält man von Johnny interessante Informationen und Auskünfte zur Biolandwirtschaft.
Zwischen Tradition und Moderne
Heute blicken Petra und Johnny stolz auf ein Werk, mit dem sie immer wieder polarisiert haben. Die Tappeiners haben viel erreicht und viel erlebt, leicht gemacht haben sie es sich nie. Wahrscheinlich muss das so sein, um das zu werden, was die beiden wurden: Pioniere der Biolandwirtschaft. Sie sind selbstbewusst, beharrlich, nachdenklich und im besten Sinne Quergeister. Seit zwei Jahren bewirtschaften Petra und Johann zusammen mit ihrem Sohn Fabian den Oberniederhof zu dritt. Viele neue Ideen sind angedacht, so z. B. könnte wieder Getreide angebaut und verarbeitet werden – eine alte, mittlerweile fast vergessene Tradition im Schnalstal, welche die Bevölkerung vor Hungersnöten schützte. Die alte Getreidemühle in der Scheune wurde bereits restauriert und ist voll funktionsfähig.
Den Hof in die Zukunft zu führen, ist für Johnny Stolz und Bürde zugleich. Von der Landwirtschaft alleine könnte die Familie nicht leben. Zur Überlebensstrategie gehört für die Tappeiners deshalb, den Hof und sich zu öffnen – für Feriengäste ebenso wie für eine globale ökonomische und ökologische Vernetzung. Den Weg zwischen Tradition und Moderne zu finden, bedeutet einerseits Verzicht, andererseits aber auch einen Gewinn an Lebensqualität. „Die Geschichte des Hofs ist ein globales Vermächtnis, das unsere Familie gerne der Gesellschaft zur Verfügung stellt. Wir leben jedoch nicht im ewig Gestrigen, wir sind ein moderner Bauernhof und so gilt es, Kompromisse zu machen und zu finden. In bestimmten Bereichen jedoch, besonders was die Qualität unserer Produkte betrifft, sind wir nicht bereit, Abstriche zu machen, auch wenn es viel Mühe macht“, sagt Johnny. „Aber“, so betont er „wir Erzeuger können noch so viel Bio anbieten, das nützt nur etwas, wenn die Verbraucher bereit sind, für vernünftige, hochwertige Lebensmittel auch etwas mehr Geld auszugeben. Die Zukunft von Bio liegt also letztendlich auch in den Händen der Verbraucher.“