Gut Pfad!
Von den Anfängen der Pfadfinder in Meran
Im Sommer 2016 von Dr. Johannes Ortner
„Wir haben als Halbwüchsige eine Mordshetz gehabt – die Natur war unser einziger großer Abenteuer-Spielplatz! Kein Fernsehen, kein Alkohol, keine Zigaretten, wir haben für uns selber gesorgt!“
Fritz Niedermair aus Meran, Jahrgang 1936 und pensionierter Goldschmied, kramt mit leuchtenden Augen in seinen Erinnerungen an längst vergangene Pfadfinderzeiten.
Wie viele andere Buben aus der Stadt suchte man in der Aufbruchszeit nach Option und Krieg zaghaft nach einer „bubentauglichen“ Freizeitgestaltung und fand diese schließlich im Pfadfinderwesen. Diese frühe Form von Erlebnispädagogik hat sich 1947 als deutschsprachiger Ableger des ASCI (Associazione Scoutistica Italiana) in Untermais unter der geistlichen Schirmherrschaft des Pater Prior Leonhard Peter (Zisterzienserorden) herausgebildet.
In Anlehnung an die bereits bestehende italienische Pfadfindergruppe „Merano I“, entstand der deutsche Pfadfindertrupp „Meran II“, der anfangs keinen leichten Stand hatte. Zunächst spürte man gewisse Vorbehalte vonseiten mancher konservativer Kleriker, denn diese hatten eine andere Vorstellung von Bubenarbeit: mehr beten, weniger Abenteuer! Fritz Niedermair erinnert sich: „Die waren uns viel zu brav! Nur Messe feiern und fröhliche Lieder singen, das war uns zu wenig. Wir waren abenteuerhungrig, wollten einen „Action-Verein“, da waren die Pfadis genau richtig: Selber Zelte aufstellen, Organisation des Transports, Spiele und Wettkämpfe, Brennholz suchen, selber kochen, Tische und Stühle selber zimmern, ja selbst Brücken über Bäche bauen!“ Auf sich selbst gestellt sein und Verantwortung in der Gruppe übernehmen, so bringt Fritz Niedermair den Unterschied zu der bisher stärker katholisch eingestellten Jugendarbeit auf den Punkt.
Freilich ging man Sonntagmorgens immer zur Messe, aber dann raus in die Natur, entweder auf den Grumser Bichl, in die Noaf oder nach Völlan, um rund um die Mayenburg zu tollen! Der Pater Prior, der aus der Schweiz stammte und in seiner Jugendzeit selbst Pfadfinder war, unterstützte seine Buben. Nach seinem Tod 1958 nannte sich die Gruppe Meran II nach ihm „Prior Leonhard Peter“. Die ersten Feldmeister (so hießen die Leiter eines Trupps) des Pfadfindertrupps Meran II waren in den 1950er-Jahren die Brüder Willy und Bruno Stopper. Später folgte ihnen Gilbert Bertozzi (geb. 1933) bis zur Auflösung des Trupps 1965.
Im ersten Nachkriegsjahrzehnt herrschte in Südtirol großer Mangel an allem. Die Pfadfinderkluft, bestehend aus Pfoat (Fahrtenhemd), Halstuch (Foulard), kurzen Hosen, Hut mit breiter Krempe und Gürtel mit dem Pfadfinder-Symbol der Lilie (Pfader-Lilie), trieb der Pater Prior in der Schweiz auf. Die Zelte fürs Lagerleben wurden aufgrund guter Kontakte von den Alpini in den nahen Kasernen ausgeliehen, eine „Kohte“ (Zelt aus zwei Stangen) stammte von Freunden in Deutschland.
Ursprünge der Pfadfinderbewegung
Die Pfadfinderbewegung (Scoutismus) ist eine internationale, religiös und politisch unabhängige Erziehungsbewegung für Kinder und Jugendliche, die Menschen aller Nationalitäten und Glaubensrichtungen offensteht.
Sie wurde im Jahre 1908 vom britischen General Robert Baden-Powell (1857-1941) gegründet. Dieser hatte im Laufe des zweiten Burenkrieges (1900) auf Seiten der Briten das südafrikanische Örtchen Mafeking gegen die Übermacht der Buren monatelang gehalten ‒ und zwar auch, indem er die Buben von Mafeking zu leichteren militärischen Aufgaben heranzog. Sie überbrachten Meldungen, versorgten Verwundete und wurden als Späher (englisch to scout „ausspähen, erkunden“) eingesetzt. Dabei machte Baden-Powell eine für die damalige Zeit überraschende Entdeckung: Wenn man jungen Menschen nur Vertrauen schenkt und sie vieles selbst entscheiden lässt, übernehmen sie gerne Verantwortung ‒ und das sehr erfolgreich.
Vom Krieg überdrüssig, fährt Baden-Powell im Jahre 1907 mit 20 Buben für eine Woche auf die englische Kanalinsel Brownsea Island und startet einen pädagogischen Versuch, der später als Geburtsstunde der Pfadfinderbewegung gefeiert wird. 1908 erscheint sein Leitfaden „Scouting for Boys“, das Pfadfinderlehrbuch schlechthin, das sich zum Bestseller entwickelte.
Jeden Tag eine gute Tat
Die Uniform oder Kluft fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl, denn sie ist für alle gleich. Soziale Unterschiede spielen keine Rolle, für die damalige britische Klassengesellschaft eine Provokation! Baden-Powell teilt die Buben zunächst in Fünfergruppen auf, in denen jeweils einer für die Gruppe verantwortlich ist ‒ ein Prinzip, an das sich Pfadfinder bis heute halten und das mit Kameradschaft umrissen werden kann, auch wenn der Begriff für einige als veraltet gilt. Denn auf diese Weise sind die Gruppen so überschaubar, dass jeder seinen Teil (Küchendienst, Schriftführer) beitragen und sein Bestes geben kann.
Learning by doing
Das Programm des Zeltlagers ist für die damalige Zeit der Industrialisierung nicht minder revolutionär. Baden-Powell bringt den Jungen bei, wie sie sich ganz ohne Hilfe in der freien Natur zurechtfinden können: Wie macht man ein Feuer? Wie beobachtet man wilde Tiere? Wie baut man ein Floß oder eine Hütte? Dabei gibt er nur so viel Hilfestellung wie nötig ‒ den Rest sollen die Buben selbst herausfinden. Lernen durch Tun bedeutet erfahrungs- und handlungsorientiertes Lernen. „Dies kam uns im praktischen Leben sehr zugute,“ betont Fritz Niedermair und stellt neben der Bildung von Kleingruppen die zweite wichtige Säule der Pfadfinderarbeit vor, die noch heute praktiziert wird. Die heutigen radikalpädagogischen Ansätze wie „survival camps“ für Drogenabhängige wurden von den Pfadfindern vorweggenommen!
In Deutschland tun sich die Pfadfinder dagegen etwas schwer, weil es zu dieser Zeit schon andere Jugendbewegungen gibt, wie z. B. die Wandervogel-Bewegung. Ähnlich wie bei den Pfadfindern legt man hier Wert auf Naturnähe und Ursprünglichkeit als Gegenstück zur starren, autoritätshörigen Gesellschaft des Wilhelminischen Kaiserreichs.