Besser spät als nie
Im Sommer 2019 von Dr. Luis Fuchs
Das Kreuzfahrtschiff MSC Opera rammte unlängst in Venedig ein Touristenboot. „Nach vielen Jahren, in denen nichts getan wurde, sind wir einer endgültigen Lösung zum Schutz der Lagune und des Tourismus nahe“, versicherte der Verkehrsminister Danilo Toninelli. Ein typischer Fall von „Aufschieberitis“: Unbequeme Maßnahmen werden auf die lange Bank geschoben, solange nicht ein Unglücksfall zum Handeln zwingt. Die endgültige Schließung des Sinicher Siliziumwerkes Solland Silicon war nach der siebten anscheinend erfolglosen Ausschreibung vom Konkursgericht verfügt worden, aber siehe da, ein Aufschub wird wiederum aus dem Ärmel gezaubert. „Was lange währt, wird endlich gut“, kann sich vielleicht ein positiv denkender Zeitgenosse vertrösten; wir werden sehen, ob der Volksmund doch noch recht bekommt.
Werden wichtige und lästige Aufgaben auf später vertagt, so wird dieses Aufschiebeverhalten von Wissenschaftlern mit dem Begriff „Prokrastination“ bezeichnet. Es ist bemerkenswert, dass bereits die alten Griechen und Römer ihr Augenmerk auf dieses Phänomen gerichtet haben. „Nicht auf morgen das Eilige!“ galt im alten Griechenland die sprichwörtliche Weisung. Ebenso beanstandete Cicero die ständige Aufschieberitis: „Tarditas et procrastinatio odiosa est“, was so viel bedeutet wie „Langsamkeit und Aufschieben sind schrecklich“.
Fälschlicherweise wird nicht selten angenommen, auffällige Prokrastination habe etwas mit Faulheit oder Willensschwäche zu tun. Studien der Universität Münster zufolge liegen die Ursachen vielmehr in Schwierigkeiten der Selbststeuerung oder der mangelnden Fähigkeit, Prioritäten zu setzen. Den Aufschiebern geben Psychologen praktikable Ratschläge: Für den Arbeitsbeginn soll man eine bestimmte Stunde festlegen; die Aufgaben sind in kleinen Happen leichter zu bewältigen; nach Erledigung einer lästigen Aufgabe soll man sich dafür auch belohnen.