135 Jahre Musikkapelle Gratsch
„Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche“
Im Herbst 2016 von Philipp Rossi
Meraner Stadtanzeiger: Herr Bauer, seit stolzen 135 Jahren gibt es die Musikkapelle Gratsch. Erzählen Sie uns doch bitte, wie der Verein entstanden ist.
Hans Bauer: Zu verdanken haben wir unsere Gründung dem österreichischen Kronprinzen Erzherzog Rudolf, der 1881 Prinzessin Stephanie heiratete. Zu diesem Anlass fanden im ganzen Kaiserreich prunkvolle Feierlichkeiten statt, u.a. auch auf der Passerpromenade in Meran. Unter den Besuchern fanden sich auch mehrere Gratscher Bürger (Gratsch war damals noch eine eigenständige Gemeinde), welche Mitglieder unterschiedlicher Musikkapellen, insbesondere Algund und Marling, waren. So entstand die Idee, auch in Gratsch eine Musikkapelle zu gründen. Die Anfänge waren nicht leicht, auch wenn das Programm recht simpel war: ein Marsch und eine Polka. Aber die junge Musikkapelle musste erst Instrumente und Noten besorgen und einen Kapellmeister finden.
MS: Aller Anfang ist bekanntlich schwer. Doch wie ging es weiter?
Hans Bauer: Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten gelang es der Musikkapelle binnen weniger Jahre, die ersten Erfolge zu verzeichnen. Es ging aufwärts mit der Gratscher Kapelle, bis der Erste Weltkrieg kam. Zwischen 1914 und 1918 mussten 25 der 26 Mitglieder einrücken, sieben davon kehrten nicht mehr von der Front zurück. Erst nach Kriegsende konnte die Musikkapelle wieder aufgebaut werden. Der Faschismus setzte der Musikkapelle auch sehr zu: 1935 spielte die Musikkapelle ihr vorläufig letztes Konzert. Die faschistische Regierung hatte die Auflösung aller Musikkapellen in Südtirol und die Beschlagnahmung deren Inventare verfügt. Erst am 25. März 1946 konnte die Kapelle neu gegründet werden.
MS: Wie ging es nach dem Krieg und dem Wiederaufbau der Musikkapelle weiter?
Hans Bauer: In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Musikkapelle neuen Aufschwung: Sie erreichte bereits in den 1950er-Jahren die beachtliche Zahl von 34 Mitgliedern und spielte landauf landab auf vielen Festen. Ein Erfolg jagte den anderen, im Jahr 2000 zählte die Musikkapelle Gratsch beispielsweise 38 Mitglieder.
MS: Kommen wir zur Gegenwart. Wie viele Mitglieder zählt die Musikkapelle Gratsch?
Hans Bauer: Im Moment besteht unsere Kapelle aus 45 begeisterten Musikantinnen und Musikanten, die allesamt mit Herz und Seele dabei sind. Im Vergleich zu anderen Kapellen im Land sind wir, im Verhältnis zur Einwohnerzahl unseres Dorfes, eine eher große Kapelle. Zudem spielen bei uns Vertreter aller Altersklassen mit: Der älteste Musikant, Klaus Ladurner, ist 80 Jahre alt und eine der tragenden Säulen unseres Vereines.
MS: Welche Auftritte stehen jedes Jahr auf dem Programm?
Hans Bauer: Den musikalischen Saisonstart bildet das Frühjahrkonzert, das alljährlich am Palmsonntag, am Vormittag, im Kursaal über die Bühne geht. Besonders im Frühjahr und im Sommer treten wir auf verschiedenen Festen und Konzerten im ganzen Burggrafenamt, aber auch darüber hinaus, auf. Im Juli organisieren wir mit den anderen Vereinen den bekannten „Gratscher Kirchtig“. Mitte November – heuer ist es Samstag, der 12. – findet unser traditioneller Flohmarkt in Gratsch statt. Den Jahresabschluss bildet dann das Neujahranspielen: In zwei Gruppen aufgeteilt ziehen die Musikanten am 30. Dezember den ganzen Tag von Haus zu Haus. Außerdem beteiligen wir uns an den unterschiedlichen kirchlichen Prozessionen, die im Jahresverlauf stattfinden.
MS: Wie finanziert sich die Musikkapelle?
Hans Bauer: Die wichtigsten Förderer sind zweifelsohne die Gratscher Bürger, die im Rahmen unserer vielseitigen Aktivitäten unsere Arbeit schätzen, finanziell mittragen und letzten Endes auch ermöglichen.
MS: Die Tracht ist ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil aller Musikkapellen. Welche Trachten tragen Eure Musikanten?
Hans Bauer: Wir haben das Glück, über zwei Trachten zu verfügen: das Langbäurische und das Kurzbäurische. Der Unterschied besteht im Wesentlichen darin, dass das Langbäurische aus einer schwarzen Lodenhose und aus einem schwarzem Samthemd besteht, während das Kurzbäurische mit einer Lederhose, einem roten Wollhemd und einem breiten, mit Federkiel geschmückten Gurt ausgestattet ist. Das Kurzbäurische ist die historische Burggräfler Tracht, die wir bei besonderen Ereignissen tragen, so z.B. bei Prozessionen und Marschierveranstaltungen. Die Gratscher haben eine Eigenheit und tragen zum Burggräfler Langbäurischen keine Krawatte.
MS: Und was tragen die Mädchen?
Hans Bauer: Die Mädchen tragen das klassische Meraner Dirndl. Übrigens: Wir waren eine der ersten Musikkapellen im Land, die auch Mädchen aufgenommen hat.
MS: Wo wir doch schon beim Thema Tracht sind, mit welchem Schmuck werden die Hüte verziert?
Hans Bauer: Im Winter verwenden wir das sog. „Ewigkeitl“, Mimosen, die in einem eigenen, altbewährten Verfahren getrocknet und verarbeitet werden. Ansonsten gebrauchen wir als Hutschmuck die traditionelle „Brennende Liab“ oder, bei festlichen Ereignissen, die „Nagelen“.