Rindsbraten und Hühnersuppe
Im Frühling 2018 von Dr. Luis Fuchs
In einem Südtiroler Berggasthof musterte ein Tourist mit prüfendem Blick die Speisekarte. Auf die Frage des Wirtes nach dessen Essenswunsch bestellte der Gast den Rindsbraten, beanstandete aber gleichzeitig, das Gericht sei korrekterweise als „Rinderbraten“ zu bezeichnen. Schlagfertig rechtfertigte der Wirt die Schreibweise: „Der Braten stammt von einem einzigen Rind und nicht von Rindern, ebenso wie wir Rindsgulasch und nicht Rindergulasch anbieten. „Wer hatte hier recht? Im Grunde beide: Im norddeutschen Sprachraum wird das Wort mit der Mehrzahl „Rinder“ gebildet, in den süddeutschen Gegenden und also auch in Südtirol mit der Einzahl „Rind“. Nicht anders gehen wir mit dem Schwein um: Im Norden bereitet man einen Schweinebraten zu, bei uns bezeichnen wir ihn als Schweinsbraten.
In diesem Fall handelt es sich um das sogenannte Fugen-s; es wird so bezeichnet, weil es zwischen zwei Wörtern einer Zusammensetzung als Fuge dient. Die Schreibweise ist bei manchen Wörtern allerdings schwankend. So gibt es die Einkommenssteuer ebenso wie die Einkommensteuer, der Schadensersatz ist gleich berechtigt wie der Schadenersatz. Nicht einheitlich ist der Gebrauch vom Fugen-s bei der Schreibung von Straßennamen. Während beim Freiheitsplatz und Bahnhofsplatz der s-Laut zu schreiben ist, kann er bei der Museum(s)straße und Bahnhof(s)straße auch weggelassen werden; zwei s-Laute hintereinander können nämlich zum Zungenbrecher werden. In Meran werden die Freiheitsstraße und die Reichsstraße durchwegs mit Fugen-s geschrieben.
In Österreich wie auch in Südtirol ist dieser s-Laut weiter verbreitet als in Deutschland. In der Vorweihnachtszeit allerdings gilt es, auf die Zusammensetzungen mit dem Wort „Advent“ besonders zu achten, denn hier lassen wir das Fugen-s durchwegs aus. Wir Südtiroler sprechen vom Adventkalender und vom Adventkranz. Sogar der Duden erwähnt und respektiert unsere „österreichische“ Version der Adventzeit. „Mein Mund so segenreich“ lautet eine Textstelle in der bekannten deutschen Messe von Franz Schubert. Sänger bemerken dann des Öfteren, es müsse „segensreich“ heißen. Tatsächlich steht im Duden nur die Version mit dem s-Laut, aber zu Schuberts Zeiten hat es den Duden noch nicht gegeben, denn das „Wörterbuch der deutschen Sprache“ wurde erst 1880 von Konrad Duden erstmals veröffentlicht.
Wörter scheren sich nicht selten um unsere Logik: Von einem einzelnen Suppenhuhn brühen wir nicht einfach eine Huhnsuppe, sondern eine Hühnersuppe. Den Gansbraten und das Gansei kennen wir in der Einzahl ebenso nicht, sie kommen seltsamerweise immer nur in der Mehrzahl als Gänsebraten und Gänseeier vor. In der Einzahl gibt es den Vogel sehr wohl als dumme Gans.