Es ist nichts mehr, wie es war
Im Frühling 2013 von Verena Maria Hesse
Früher hab ich am Sonntag manchmal länger geschlafen. So bis acht oder halb neun, seit meine Tochter da ist, schreit sie zwischen 5 und 5.45 Uhr zur Tagwache, steht so lange in ihrem Bettchen, bis ich sie in meines hole und checkt dann erst mal die Lage. Sie checkt, ob sie zuerst den Wecker vom Nachtkästchen hinter mir direkt auf meinen Kopf fallen lassen soll oder das Buch, das ich gerade lese, ob sie das Licht anmacht oder mein Handy oder ob sie mich bei den Haaren zieht oder mir mit ihrem kleinen Zeigefinger ins Nasenloch greift. Sie hat zu der Zeit überhaupt keine Intention, noch einmal ein bisschen zu schlafen oder mich schlafen zu lassen – nicht weiter verwunderlich, die Ärmste schläft ja schon seit elf Stunden.
Früher hab ich am Wochenende Wanderungen unternommen, mitunter sogar eine Gipfeltour – heutzutage bin ich immer froh, wenn wir nach der Woche nicht Samstag und Sonntag in Quarantäne verbringen müssen, weil Madame hustet oder gar Fieber hat wegen der Zähne.
Früher konnte ich am Abend mit einem Jausenbrett vor dem Fernseher sitzen, hemmungslos Speck essen und Schüttelbrot, dabei mit meiner Freundin telefonieren und nebenbei Facebook checken, heutzutage koche ich abends immer was Vernünftiges, etwas Warmes ist wichtig und Kinder brauchen Vitamine und wir sitzen ordentlich bei Tisch – ohne Multimediageräte und im Beisein der Familie, damit sie lernen, dass Essen etwas mit Beisammensein zu tun hat, mit Familienkultur, mit Regelmäßigkeit und mit Wertevermittlung. Beim Essen unterhält man sich miteinander – nicht mit vollem Mund – und man lässt einander am jeweiligen Leben teilhaben. Gemeinsame Mahlzeiten sind wichtig und schön.
Bevor meine Tochter auf die Welt kam, hab ich mir den Samstagnachmittag oft mit einem Nickerchen versüßt. Nach getaner Arbeitswoche hab ich mir auf der Couch ein Schläfchen gegönnt, so ganz ohne Zeitdruck und ohne Verpflichtung. Heute ist es so, dass zwar mein Baby auch schläft am Nachmittag, ich aber mit beinahe 100-prozentiger Gewissheit sagen kann, dass unser Schlaftiming nie zusammenpasst, ich also entweder eine halbe Ewigkeit mit ihr Buch lese und nahezu zwanghaft kuschle, um sie endlich müde zu machen, bevor ich dann kapituliere und mich dem Haushalt widme oder aber die Gute auf dem Heimweg im Kinderwagen einschläft und ich dann die Möglichkeit habe, sie in ihr Bett zu tragen –und damit sicher aufzuwecken – oder aber die Haustüre offen lassen muss, um aus dem Stiegenhaus zu hören, wenn sie aufwacht, was ja dann wiederum mein Nickerchen stark beeinträchtigt, um nicht zu sagen: ausschließt.
Früher war ich am Samstagabend in der Stadt unterwegs und hab mich mit Freunden getroffen, jetzt kann ich mitreden bei der Frage, wer denn besser ist: Gottschalk oder Lanz.
Sie hat alles verändert, alles auf den Kopf gestellt, es gibt keinen Stillstand mehr, keine ruhige Minute, keinen Tag, an dem nicht etwas Unvorhergesehenes geschieht.
Sie hat mein Leben bunt angemalt, sie hat begonnen, es anzuscheinen wie eine kleine Sonne.