Der erste Bestseller der Welt
Im Winter 2022 von Dr. Luis Fuchs
„Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache.“ Der merkwürdige Spruch wird dem österreichischen Schriftsteller Karl Kraus zugeschrieben. Wenn sich die Österreicher im Großen und Ganzen der hochdeutschen Standardsprache bedienen, so gebrauchen sie natürlich auch typisch österreichische Bezeichnungen, sogenannte Austriazismen. Auffallend sind beispielsweise Varianten im Küchenvokabular: Marille statt Aprikose, Topfen statt Quark, Paradeiser statt Tomate.
Welchem Umstand ist es zuzuschreiben, dass man sich von Schleswig-Holstein bis hin zu Südtirol einer gemeinsamen Schriftsprache bedient? Das Verdienst ist zu einem guten Teil dem Mönch Martin Luther anzurechnen, der mit seiner Bibelübersetzung die Grundlage für die hochdeutsche Sprache schuf. Da Luther 1521 nach dem Reichstag zu Worms für vogelfrei erklärt wurde und in Lebensgefahr war, versteckte er sich unter dem falschen Namen „Juncker Jörg“ auf der Wartburg. Im Jahr 1522, also vor 500 Jahren, übersetzte er dort die Bibel, vorerst das Neue Testament in ein Deutsch, das am besten geeignet war, von allen Deutschen verstanden zu werden. „Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt fragen und denselbigen aufs Maul sehen, wie sie reden …“, schrieb er im „Sendbrief vom Dolmetschen“. Mit der Bibelübersetzung hat es Luther geschafft, dass die deutsche Sprache nun gleichberechtigt neben den „heiligen“ Sprachen Griechisch, Latein und Hebräisch dastand. Die Heilige Schrift fand durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johann Gutenberg rasante Verbreitung und erwies sich schnell als ein sensationeller Erfolg.
Luther hat es meisterhaft verstanden, die Lehren der Bibel in Sprachbildern darzustellen, die wir heute 500 Jahre später noch verstehen und zum Teil auch verwenden: „Sein Licht unter den Scheffel stellen“, „Ein Dorn im Auge sein“, „Perlen vor die Säue werfen“. Die Redensart „Hochmut kommt vor dem Fall“ war wohl schon zu Luthers Zeit sprichwörtlich. Wer überheblich und arrogant ist, stolpert nicht selten darüber und wird eben selbst zu Fall gebracht. So sind prominente österreichische Politiker wie Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verschwunden. Goethe hielt Hochmut für eine typisch männliche Eigenschaft. Er meinte, es gebe „drei Klassen von Narren: die Männer aus Hochmut, die Mädchen aus Liebe, die Frauen aus Eifersucht“. Luther benutzte die Wendung „im Dunkeln tappen“ des Öfteren. Heute ist achtzugeben, dass man nicht „ins Fettnäpfchen tappt“. Die Bibel enthält einige Wendungen, in denen vom Säen und Ernten die Rede ist: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“ Heutzutage wird im Zuge der Energiedebatte vorgeschlagen, man solle Wind säen, um Energie zu ernten.