Angstgedanken, die zum Horrorszenarium werden
Im Frühling 2016 von dialogo
Mit vielen anderen Passagieren saß ich kürzlich im Zug im Pflerscher Tunnel fest und wartete zwei Stunden lang auf unsere Befreiung.
Aus diesem Anlass wurden von der RAI Südtirol einige Fragen an mich gestellt.
RAI Südtirol: Zwei Stunden lang im Zug festzusitzen, nicht zu wissen, wann und wie es weitergeht, das ist für viele von uns ein Horrorszenarium. Warum? Was passiert mit unserem Körper und unserer Psyche in diesem Moment?
Paulina Pircher: Eine solche Situation macht Angst, ganz ohne Frage. Wir müssen hier jedoch differenzieren. Bei vielen von uns würde eine solche Situation ein mulmiges Gefühl auslösen. In einem Tunnel festzusitzen, in einer engen langen Röhre mit Kunstlicht, das ist wohl für kaum jemanden besonders angenehm. Wir müssen aber unterscheiden zwischen gesunden Menschen und solchen, für die das ein Horrorszenarium ist. Es gibt Menschen mit spezifischer Tunnelphobie. Das ist eine Sonderform der Klaustrophobie. Für diese ist eine solche Situation furchtbar, da Angstgedanken aufkommen, die zu Körperreaktionen führen, die mit einem Herzinfarkt vergleichbar sind. Wir können uns das folgendermaßen vorstellen: Der Körper beginnt zu zittern, das Herz zu rasen, das Gefühl, ersticken zu müssen, kommt auf, man schwitzt … es beginnt ein Teufelskreis. Diese Körperreaktionen werden tatsächlich wahrgenommen, und die Angst wird immer größer. Angstgedanken und Körperreaktionen schaukeln sich weiter und weiter auf. Es kommt zu einer Panikattacke.
RAI Südtirol: Solche und ähnliche Situationen können uns öfters im Leben passieren. Wir stecken fest, kommen nicht weiter, vielleicht sogar im Dunkeln und allein. Was macht man dann am besten, um die Ruhe zu bewahren?
Paulina Pircher: Es geht in solchen Situationen letztendlich um Selbstberuhigung. Es kann uns beispielsweise passieren, dass ein Fahrstuhl stecken bleibt. Auch dort kann es sein, dass wir über eine längere Zeit im Dunkeln, allein, ausharren müssen. Ebenso ist es möglich, dass wir aus gesundheitlichen Gründen eine Magnetresonanztomographie machen müssen, bei der wir auch in einer engen Röhre, so ruhig wie möglich, liegen müssen. In all diesen Situationen ist es so, dass uns Gedanken und Selbstinstruktionen helfen, die Ruhe zu bewahren. Die wirksamste Maßnahme, die man ganz selbstständig ohne Hilfe durchführen kann, sind Atemübungen. Der Betroffene sollte tief ein- und ausatmen. Er sollte versuchen, seinem Atemstrom zu folgen und zu spüren, wie sich die Bauchdecke bewegt, wie sich die Brust hebt und senkt. Er kann dadurch das Gefühl erfahren und auch die Beobachtung machen, dass wir unsere Atmung nicht beeinflussen müssen. Die Atmung läuft automatisch. Diese Wahrnehmung und die einhergehende Verlangsamung der Atmung stabilisieren unseren Körper. Weiters kann man sich durch Gedanken, die man bewusst fasst, ruhiger stellen. Man kann im Inneren angenehme Bilder aufkommen lassen. Es geht darum, die Situation, so gut wie möglich, einzuschätzen und die Gedanken in eine positive Richtung zu lenken.